Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
kurzer Zeit der eine Major und der Jüngste Oberst wurden. Sie hatten so viel Geld von Hause mitgenommen, dass sie nicht zu knausern brauchten und ein herrliches Leben führen konnten. Da war kein Mangel an Dienerschaft und Pferden und Wagen; jeden Tag fuhren sie um Mittag aus und jeden Tag der Woche in einem andern Wagen mit sechs andern Pferden und andern Bedienten. Sie kamen dabei stets an dem Schlosse des Königs vorüber, und da wurde die schöne Prinzessin aufmerksam auf sie und kam jedesmal an das Fenster. Das bemerkten die zwei Prinzen bald, aber sie merkten nicht, wie die Liebe nach und nach in dem Herzen der Prinzessin Platz nahm und sie endlich nicht mehr ruhen ließ bei Tag und Nacht. Der Jüngste der beiden Prinzen, welcher auch der schönste war, gefiel ihr nämlich so gut, dass sie meinte, nicht ohne ihn leben zu können; sie mochte es aber Niemand sagen, denn sie war gar stolz und da sie Alles so in sich verbergen musste fiel sie zuletzt in eine schwere Krankheit. Alle Aerzte im Lande mussten herbei, doch ihre Arzneien halfen nichts und es wurde von Tag zu Tage schlimmer mit ihr. Da ließ sich endlich ein uralter Mann am Hofe melden, der hatte sein ganzes Leben hindurch die Welt bereist und kannte alle Kräuter; er hatte einen Trank ausgefunden, der jede Krankheit auf der Stelle heilte, wenn sie auch noch so gefährlich war. Der König führte ihn zu der Prinzessin und kaum hatte der Alte sie gesehen, so sprach er: „Ich kann ihr helfen, aber ich muss mit ihr allein sein.“ Als der König fortgegangen war, gab ihr der Alte einen stärkenden Trank, dann sagte er: „Ihr habt kein körperliches Leiden, sondern eine Herzenskrankheit und ich kann euch nur helfen, wenn ihr mir aufrichtig bekennt, was euch drückt.“ Anfangs wollte die Prinzessin nicht mit der Sprache heraus, aber der Alte wusste ihr Vertrauen so zu gewinnen, dass sie ihm endlich Alles bekannte, doch bat sie ihn, er solle sich nur nichts davon merken lassen.
Da ging der Alte zum König und sprach: „Ich habe die Krankheit wohl überwunden, aber es bleibt noch eine Schwäche zurück. Wenn die Prinzessin jetzt viel Leute sieht und die rechten Leute, die ihr schön zu erzählen und sie zu unterhalten wissen, dann ist die Schwäche auch bald gehoben, denn dann denkt sie nicht darüber nach.“ „Wen will sie denn sehen?“ frug der König. „Von all meinen Hofherren will sie nichts wissen.“ „Wen, das weiß ich nicht,“ sprach der Alte, „aber es sind zwei vornehme Herren in der Stadt, einer ist Major und der andre Oberst; die könntet ihr einladen.“ Der König freute sich des guten Rathes und sandte sogleich einen Bedienten zu den beiden Prinzen, um sie zum Mittagessen einzuladen. Als der Bediente seinen Auftrag ausrichtete, gaben die Prinzen ihm keine Antwort; sie sagten zu dem Wirt, er solle ihnen das Essen wie jeden Tag bereit halten. Sie aßen wie immer zu Mittag, dann fuhren sie nach Gewohnheit aus und an dem Schlosse des Königs vorbei. Als der König das sah, fuhr er den Bedienten an, er habe wohl die Einladung nicht gehörig ausgerichtet, doch der sagte, das sei geschehen, die Herren hätten ihm aber keine Antwort gegeben. Da setzte sich der König des andern Morgens in seinen Wagen und fuhr selber zu den Prinzen, lud sie zu sich zu Tische und frug auch, warum sie am vorigen Tage nicht gekommen seien. „Man kann auf anderer Leute Reden nicht gehen,“ sprachen sie. „Wenn wir so etwas auszurichten haben, tun wir es selbst.“ Das freute den König, denn er dachte, da sie so stolz seien, müssten sie wohl von vornehmer Herkunft sein und er frug sie, wer sie denn eigentlich seien? Als er nun ihre Abstammung vernahm, da war er gar außer sich vor Freude und sprach, sie dürften nicht mehr in dem Wirtshaus wohnen, sondern müssten in seinen Pallast ziehen. Dieß geschah noch am selben Tage und Niemand war glücklicher darüber, als die schöne Prinzessin. Als der Jüngste sie nun so jeden Tag in ihrer ganzen Holdseeligkeit sah, da erwachte auch in seinem Herzen die Liebe zu ihr und da war es nicht weit mehr bis zur Verlobung und die Vermählung ließ auch nicht lang warten; also wurden die Beiden das glücklichste Paar auf Gottes Erdboden.
Ein paar Jahre hatten sie also beisammen gelebt, da sprach der Aeltere: „Lieber Bruder, ich habe den Seedienst nicht umsonst gelernt und kann es auf dem Lande nicht länger aushalten. Zudem finde ich hier mein Glück nicht, darum muss ich es anderswo suchen und will nächstens mit
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