Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
verstanden und ihr Mitleid mit dem armen Mädchen war so groß und ihr Zorn auf den Prinzen so arg, dass sie zu seinem Bette traten, ihm die kalten Spitzen ihrer Bajonette auf die Brust setzten und sprachen: „Du musst jetzt sterben, bereite dich zum Tode vor!“ Der Prinz fragte erschrocken, warum sie ihn denn ermorden wollten, da er ihnen doch nichts getan habe? Sie sprachen: „Weil du ein so hartes Herz hast, dass du das arme Mädchen verraten und betrogen hast, die Alles für dich hingegeben hat, und sie so jammern und klagen hören kannst, ohne dich über sie zu erbarmen.“ Der Prinz sprach: „Ich weiß von keinem Mädchen, habe keines betrogen und keines jammern hören.“ Da sagten ihm die Schildwachen Alles, was die Jungfrau geklagt hatte, aber weil sein Sinn durch den Kuss verdeckt war, verstand er sie nicht und sprach: „Schenkt mir für heute das Leben. Ich habe so fest geschlafen, dass es kein natürlicher Schlaf gewesen sein kann. Morgen will ich aber wachen und das Mädchen selber sehen und hören.“ Die Schildwachen erkannten nun auch, dass sich Alles so verhalten müsse und sprachen: „Dann esset aber morgen Abend nichts und trinket nichts, was euch eure Braut reicht, denn diese muss dabei im Spiele sein.“
Die Jungfrau war aber in heller Verzweiflung, als sie nun ihre dritte und letzte Nuß öffnete und klagte dem Wald und den Felsen und den stummen Tieren ihr Leid, dass es zum Erbarmen war. In der Nuß steckte aber das allerschönste der drei Kleider, das war aus lauter Diamanten gemacht. Sie zog es an und ging damit vor dem Schlosse auf und ab. Die Braut des Prinzen sah sie nicht sobald, als sie ihre Dienerinnen zu ihr sandte und ihr sagen ließ, ob sie für das Kleid eine Nacht in der Kammer des Prinzen schlafen wolle? „Das will ich,“ sprach die Jungfrau und konnte ihre Tränen kaum zurückhalten, als sie sah, wie die Braut hohnlachend am Fenster stand. Abends als die Braut dem Prinzen den Schlaftrunk reichte, ließ er ihn am Kinn herunterlaufen und nahm nicht einen Tropfen davon, das Essen rührte er nicht an und ging früh in seine Kammer, sprach, er sei krank. Als die Jungfrau in das Zimmer geführt wurde, lag er in seinem Bette und tat als schliefe er. Da begann sie zu jammern und zu klagen: „Hast du denn ganz vergessen, wie ich dich aus dem Eiskeller erlöst habe?“ Er wandte sich um und sah sie erstaunt an doch er konnte sich ihrer nicht erinnern. „Gib mir Wasser, ich habe Durst,“ sprach er, „und sage mir aus welchem Eiskeller.“ Da schenkte sie ihm Wasser ein und warf die Schalen einer Nuß in das Glas, die schmolzen alsbald. Als er trank, da wich es wie ein Nebel von seinen Sinnen und er gab ihr die Hand und rief: „Ach das war bei dem Grünus Kravalle!“ „Da war es,“ sprach sie, „und hast du denn ganz vergessen, wie du mich als Rose an deinem Herzen getragen hast?“ „Als Rose an meinem Herzen?“ fragte er. „Gib mir Wasser, ich vergehe vor Durst.“ Da schenkte sie ihm wieder ein Glas ein und warf die Schalen der zweiten Nuß dazu, die waren sogleich geschmolzen. Als er getrunken hatte, wurde es plötzlich wie ganz klar vor seinen Augen und er küsste sie und rief: „Ach das war, wie deine Schwester uns verfolgte!“ „Da war es,“ sprach sie, „und hast du ganz vergessen, wie du als Steinklipper mit dem schweren Hammer auf mein Herz geschlagen hast? Aber das hat mir nicht so weh getan, als dass du mir untreu bist und mich verlassen in der Mühle sitzen lässest. Die Mühle geht wohl tippe tappe Nacht und Tag, das tut mir jedesmal auf mein Herz einen Schlag.“ „Was sprichst du von der Mühle?“ fragte er. „Aber gib mir zuvor ein Glas Wasser, ich sterbe vor Durst.“ Da schenkte sie ihm das dritte Glas ein und warf die Schalen der dritten Nuß hinein. Sogleich wusste er wieder Alles. Er rief: „Du bist meine liebe Braut!“ und umarmte sie und bat sie um Verzeihung für alles Leid, welches er an ihr verschuldet hatte, aber sie sprach: „Die Freude, dass ich dich wieder habe, ist viel größer als mein Leid war und hätte es auch hundert Jahre gedauert.“ Jetzt führte er sie zu seinen Eltern und erzählte ihnen Alles. Da bekam die andere Braut den Abschied und konnte gehn, die Jungfrau wurde aber am folgenden Tage schon mit dem Prinzen vermählt und ich hätte wohl mit auf der Hochzeit sein mögen.
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