Das Große Spiel
Sie wählte eine Seitentreppe, die ins Dachgeschoss führte. John folgte ihr. Sie führte ihn über eine schmale Galerie an zahlreichen Zimmern vorbei. Vor einem blieb sie stehen. Sie schaute erneut zurück, nur kurz, um sich zu vergewissern, dass er ihr noch folgte, und betrat dann das Zimmer.
John eilte ihr nach. In dem Zimmer stand ein mit rotem Samt bezogenes großes Bett. Law schloss die Tür hinter sich. Die fremde Gestalt kam auf ihn zu und legte ihre Hände auf seine Schultern. John Law spürte ihren Atem. Als er sie näher zu sich zog, fühlte er, wie rasend schnell ihr Herz schlug. Sanft küsste er ihre Lippen. Er berührte sie bloß.
Sie begann zu sprechen: »Wenn ich abends wach liege, denke ich an Sie. Ich schließe die Augen und suche Ihr Gesicht, versuche Sie in der Erinnerung auferstehen zu lassen. Ich denke nur noch an Sie. Meine Gedanken kreisen, kreisen um Sie.« Sie erwiderte den Kuss, beinahe schüchtern. »Haben Sie mich erkannt, Sir?«, ihre Stimme klang ängstlich. Plötzlich drückte sie John fest an sich und küsste ihn leidenschaftlich. Dann löste sie sich abrupt von ihm: »Haben Sie mich erkannt, Sir?«
»Sie sind die Frau, die mir Glück bringt.«
»Nein, nein«, sagte die Frau, »vielleicht sagen Sie das jeder Frau ...«
»Ich habe es nur einmal gesagt. Am Covent Garden.«
Mit einer wilden Bewegung umfasste die Frau Johns Nacken und zog ihn stürmisch zu sich hinunter. Sie schien beinahe verzweifelt vor Leidenschaft und Begierde.
Als John Law und Catherine das Zimmer wieder verließen, war das Leben im Schloss erloschen. Die Wächter waren auf ihren Posten eingenickt. In den Sälen waren nur noch wenige Menschen. Die meisten schliefen, meist dort, wo man ihnen zum letzten Mal den Becher nachgefüllt hatte. Die jungen, nackten Mädchen waren verschwunden. Im Salon, dort, wo vor einigen Stunden noch Pharao gespielt worden war, war nur noch ein umgestürzter Spieltisch zu sehen.
Als John mit Catherine die breite Treppe zur unteren Halle hinunterstieg, hörte er plötzlich das laute Gebrüll eines Mannes. Er blieb auf der Treppe stehen und schaute hinauf zu Galerie.
»Du hast verschmäht, was dem König gut genug ist«, brüllte der Mann. Es war die Stimme von Edward Wilson. Der Beau klammerte sich an eine Säule und erklomm die Balustrade. Jetzt stand er nackt auf dem steinernen Sims und brüllte:
»John Law, du hast meine Schwester verschmäht, du hast meinen Schwanz verschmäht. Unserem König William ist er gut genug, aber du, du gottverdammter Schotte, du hast ihn verschmäht. So werden England und Schottland nie zu einer Union zusammenfinden.«
Als John weitergehen wollte, begann Edward Wilson auf ihn hinunter zu urinieren. Der Strahl war nicht stark genug, um John Law zu treffen. John wartete, bis Edward Wilson seine Blase entleert hatte, und stieg dann die letzten Stufen zur Eingangshalle hinunter. Als er ein letztes Mal hochblickte, sah er, dass jemand Beau Wilson von der Brüstung hinunterriss.
Als Catherine Knollys und John Law draußen vor dem Schloss ankamen, schlug ihnen die kalte Nachtluft entgegen. Catherine erbot sich, John mit ihrer Kutsche nach Hause zu fahren. Während der ganzen Fahrt sprachen sie kein einziges Wort. Sie saßen nebeneinander in der Kutsche und schwiegen. Sie fühlten sich satt von der Liebe. Eine große Ruhe hatte sich ihrer bemächtigt. Es war, als hätten sie nach langen Jahren der Unruhe die ihnen zugehörige Seele gefunden. Es war ein bewegendes Gefühl, das keiner Worte bedurfte. Nur ihre Hände berührten sich.
Am nächsten Nachmittag erhielt John Law die Nachricht, dass Betty Villiers ihm einen Besuch abzustatten beabsichtige. John hätte gern auf Besuch verzichtet. Catherine war erst vor wenigen Stunden gegangen - argwöhnisch beäugt von Beau Wilsons Schwester im unteren Geschoss -, aber eine intime Freundin des Königs konnte man nicht einfach abweisen. Schon gar nicht seine Mätresse. Ihre Dienstleistungen befriedigten den König bestimmt mehr als die Anwesenheit mancher hochrangiger Gäste, die irgendetwas von ihm erbetteln wollten. Und wer den König befriedigte, so reimte sich John Law zusammen, hatte wohl mehr Einfluss auf seine Audienzenliste.
John Law empfing Betty Villiers im Salon. Sie war wie immer von bezaubernder Schönheit, sprühend vor Energie, ausdrucksstark und dominant. Sie gehörte ohne Zweifel zu den Frauen, die erst mit zunehmendem Alter Charakterzüge entwickelten, die sie attraktiv und unwiderstehlich
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