Das Große Spiel
nicht zum Duell auffordern. Lieber ein Leben in Schande als ein heldenhafter Tod! Auch in dieser Beziehung bin ich meiner Zeit voraus.«
»Haben Sie Erfahrung als Sekundant, Sir?«, fragte John Law. »Nicht nur als Sekundant. Ich habe mich selbst schon duelliert. Wir haben uns beide ein bisschen schmutzig gemacht, mit Blul bekleckert... Leider ist der andere daran gestorben. Er hatte noch mehr Angst als ich.«
Daniel Defoe war ans Fenster getreten. Im Tageslicht sah der Schriftsteller noch grauer und verlebter aus.
»Sie haben ... einen engen Kontakt zu Madam Villiers?«, versuchte es John Law.
»Es mag Sie erstaunen, John Law of Lauriston, dass ein Versager wie ich Aufträge aus dem Umkreis des Königs erhält. Aber so ist es. Vom Earl of Warriston persönlich.«
John Law zuckte bloß die Schulter.
»Vergessen Sie nicht, dass ich zu den bekanntesten Schriftstellern Londons gehöre. Ich könnte Ihnen mehr Türen öffnen als Beau Wilson.«
»Das dürfte nicht schwierig sein, da Wilsons Lebenserwartung nicht besonders hoch ist...« John Law sah sein Gegenüber spöttisch an.
Daniel Defoe lächelte gequält: »Da mögen Sie wohl Recht haben, Sir.«
»Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Sie gekränkt haben sollte«, sagte John nach einer Weile und lächelte versöhnlich.
Daniel Defoe schien gerührt. John Law fürchtete bereits, dass Defoe vor lauter Rührung in Tränen ausbrechen würde. Stattdessen verfolgte er eisern seine Absicht, sich bei Law einzuschmeicheln: »Ich bin letzte Woche zum Mitglied der staatlichen Steuerkommission ernannt worden.«
»O, und ich dachte, Sie leiten demnächst den britischen Spionagedienst in Schottland«, scherzte John Law.
»Ich bin hergekommen, um Ihnen zu helfen, und was ich zu hören bekomme, ist nur Hohn und Spott«, sagte Defoe verbittert. Jetzt schoss ihm die Zornesröte ins Gesicht. Er schrie: »Wie viele Duelle wollen Sie denn heute noch austragen, Sir?«
John Law wandte sich von Defoe ab. »Warum will mir die Krone helfen, Defoe?« Der Schriftsteller begriff, dass es keinen Sinn hatte, sich in irgendwelche Ausreden zu flüchten.
»Sie sind Schotte. In Schottland ist der Widerstand gegen eine Eingliederung in das Reich der britischen Krone größer denn je. Der König braucht Schotten von Rang und Namen, die sich für seine Anliegen einsetzen. Und da wir nun schon mal einen derart begnadeten Schotten unter uns haben, setzen wir uns für ihn ein. Der König hat von Ihnen gehört, Sir.«
»Und Ihre Rolle, Daniel Defoe?«
»Wenn Sie zufällig Punkt zwölf Uhr auf dem Bloomsbury Square sein wollen, müssen Sie sich beeilen, Mr Law.«
Es war der 9. April 1694 zur Mittagszeit, als John Law in Begleitung von Daniel Defoe die Tottenham Court Road entlangfuhr. Die Kutsche hielt auf dem prächtig gestalteten Bloomsbury Square, der auf drei Seiten von neuen Häuserzeilen mit dunkelroten Ziegelfassaden begrenzt wurde. Neureiche Händler hatten hier palastähnliche Residenzen errichtet, Häuser, wie für die Ewigkeit gebaut. Hier am Bloomsbury Square wehte nicht nur der Duft frischer Blüten, sondern auch der Duft des Okkulten. Hier hatten sich auch zahlreiche Spiritisten niedergelassen, vermögende Astronomen, mysteriöse Ordensgemeinschaften, Geheimbünde und Logen, die behaupteten, über das geheimste Wissen zu verfügen, das aus der Zeit vor der Sintflut stamme. An diesem Ort wurden Londons verbotene Duelle ausgetragen.
Kurz nachdem John Law mit seinem Sekundanten eingetroffen war, fuhr eine zweite Kutsche vor. Wilson und sein Sekundant, Captain Wightman, stiegen aus. Schaulustige blieben stehen. John Law entfernte sich ein paar Schritte von der Kutsche. Nun stand er allein da. Er wartete. Ei fühlte sich frei und unbeschwert.
»Wilson«, rief Law, »welch eine Überraschung! Welcher Zufall führt Sie um diese Zeit zum Bloomsbury Square? Wollen Sie sich bei mir entschuldigen?«
Wilson zog sofort blank und eilte auf John Law zu. Als er sich bis auf wenige Schritte genähert hatte, zog John Law ebenfalls seinen Degen und wich dem Angreifer im allerletzten Augenblick aus. Wilson rannte direkt in seinen Degen. John Law traf ihn mitten ins Herz. Das Duell hatte noch gar nicht richtig begonnen. Und Wilson war schon tot. John Law konnte es kaum glauben.
Ein Konstabler bahnte sich einen Weg durch die rasch größer werdende Menge der Schaulustigen. John Law hatte seinen Degen wieder eingesteckt. Gelassen schaute er dem Konstabler zu, wie er neben dem toten Wilson kniete
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