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Das Große Spiel

Das Große Spiel

Titel: Das Große Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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die Innenwand der Kiste geschleudert und blieb regungslos liegen.
    »Ist sie tot?«, fragte John Law.
    Der Due d'Orleans packte die Maus am Schwanz und hob sie hoch. John Law nahm sie in die Hand. Sie war tot.
    Der junge Mann, der das Experiment durchgeführt hatte, lächelte breit und zeigte dabei sein verfaultes Gebiss.
    »Jetzt nehmen wir eine größere Maus«, flüsterte der Herzog. »Mich.«
    Ein Raunen machte sich im Salon breit. Immer mehr dunkle Gestalten näherten sich der mysteriösen Kiste. Der junge Mann brachte das Rad erneut in Schwung und versuchte dabei einen besonders deprimierten Eindruck zu machen. Dann ergriff er plötzlich die Hand des Mädchens, das sich schmachtend an ihn lehnte, und fasste gleichzeitig die Drähte an. Mit einem gellenden Schrei wurde das Mädchen auf den Boden geschleudert und blieb regungslos liegen.
    »Beeindruckt?«, fragte der Herzog.
    »Ist sie tot?«, fragte Law.
    »Nein, nein«, lachte der Herzog, während die Umstehenden das verstörte Mädchen wieder auf die Beine stellten, »vielleicht werden wir eines Tages Lahme wieder zum Laufen bringen. Oder den Krieg gegen England gewinnen.«
    »Hier, in diesem Salon, Monsieur Law, sehen Sie das, was in hundert Jahren jedes Kind beherrschen wird: magnetische Experimente, neuartige Pumpen, dampfbetriebene Maschinen. Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter, einem Zeitalter, in dem alles erklärbar und reproduzierbar wird. Und am Ende wird es keine offenen Fragen mehr geben. Und Gott wird sich zur Ruhe setzen und uns allein lassen mit all unseren Lastern.«
    Der Herzog wandte sich Beifall heischend an ein junges Mädchen, das in seiner Nähe stand, kniete dann vor ihr nieder und begann, sie leidenschaftlich zu küssen.
     
    Auf dem Friedhof hinter dem Pariser Hospital gab es wie überall in Europa stets frisch ausgehobene Gräber. Der Tod war nichts Einmaliges. Der Tod war ein häufiges Ereignis. So wie man wusste, dass Hunde nur zehn oder dreizehn Jahre lebten, wusste man, dass Menschen nie miteinander alt wurden. Fast nie. Menschen starben. Ehepaare wurden ständig auseinander gerissen. Man verlor seine Ehefrau oder seinen Ehemann einmal, zweimal, dreimal, viermal. Man verlor ein halbes Dutzend Kinder, bevor eines davon endlich das siebte Lebensjahr erreichte. Es wurde permanent und überall und jederzeit gestorben. Der Tod war omnipräsent.
    Man schloss Bündnisse ab, um zu überleben, zeitlich befristete Bündnisse, um als Paar die Gräuel des Schicksals gemeinsam besser ertragen zu können. John Law betrat den Fußweg, der durch die Gräberfelder führte. In der Hand trug er den Stock des Münzprüfers von Edinburgh, den Stock seines Vaters mit dem goldenen Griff und den eingravierten Worten non obscura nec ima. Weder unbedeutend noch gering. Der Arzt, der seinen Vater operiert hatte, war bereits verstorben. Er hatte mit niemandem über seinen Vater sprechen können. Es gab auch nichts, worüber er unbedingt noch hätte sprechen wollen. Sein Tod lag bereits elf Jahre zurück. Der junge Mann ging die Gräberfelder entlang und blieb schließlich vor einem bescheidenen Grab stehen. Es war mit Unkraut übersät. Es gab keinen Grabstein. Nur eine kleine, in den Boden eingelassene Tafel, auf der sich der Name seines Vaters fand. William Law.
    John Law hielt den Stock fest in den Händen. In Gedanken teilte er seinem verstorbenen Vater mit, dass er nun hergekommen sei, um sein Gelübde einzulösen.
    »Versprechen Sie Ihrem Vater nicht zu viel«, spottete eine Stimme im Hintergrund, »ich jedenfalls gebe nie Versprechen.«
    John Law drehte sich um. Der Marquis d'Argenson kam langsam auf ihn zu. Er hatte dieses ihm eigene Lächeln aufgesetzt, das jedem mitteilte, dass man ihm, dem obersten Polizeipräfekten von Paris, nichts anhaben konnte.
    »Sie stören die Ruhe der Toten, Monsieur le Marquis.«
    »Seit wann glaubt ein derart vernunftbegabter Mensch wie Sie, dass die Toten Ruhe brauchen?«
    D'Argenson kam bis auf zwei Schritte an John Law heran. Nun stand er vor ihm und blickte ihm direkt in die Augen.
    »Sind meine Papiere nicht in Ordnung?«, fragte Law.
    »Ich habe Sie gestern Abend nicht durchschaut, Monsieur Law. Ich weiß nicht, wie Sie es anstellen, aber Sie tricksen. Es ist irgendein fauler Kartentrick.«
    John Law blieb gelassen. Er sah das Feuer in d'Argensons Augen. Er wusste, dass d'Argenson ihn gezielt provozieren wollte. Er ließ sich nicht provozieren.
    »Ich betreibe das Kartenspiel nicht als Unterhaltung,

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