Das Große Spiel
sondern als wissenschaftliche Arbeit. Ich berechne das Risiko. Wie ein Buchmacher. Wie eine Versicherungsgesellschaft.«
D'Argenson grinste: »Und was machen Sie tagsüber? Was sucht ein protestantischer Schotte, der in England zum Tode verurteilt worden ist, in Paris? Sie sind doch nicht bloß hergekommen, um La Duclos zu schwängern?«
»Ich befasse mich mit wirtschaftstheoretischen Schriften ...«
»Sie sind ein Hasardeur«, unterbrach ihn d'Argenson unwirsch, »einer von diesen elenden Glücksrittern, die durch Europa ziehen, von Salon zu Salon, ein bisschen tricksen, ein bisschen bumsen ...«
»Wollen Sie mich beleidigen, Monsieur le Marquis?«
»Wollen Sie mich zum Duell auffordern?«, grinste d'Argenson.
»Nein, ich werde den König von meinen Ideen überzeugen!«
»Ich fürchte, dazu werden Sie kaum noch Gelegenheit haben. Sie haben genau eine Stunde Zeit, um Paris zu verlassen, und weitere zwölf Stunden, um Frankreich zu verlassen.«
»Mit welchem Recht, Monsieur?«
»Ich kann Sie auch ins Gefängnis werfen lassen, bis mir der entsprechende Gesetzesparagraf einfällt, Monsieur Law.«
John Law lächelte: »Ihre Argumente sind sehr überzeugend. Aber werden Sie auch den Due d'Orleans überzeugen?«
»Ich weiß nicht, was Ihnen der Neffe des Königs versprochen hat. Egal was es ist, er hat es heute Morgen bereits wieder vergessen. Ihre Kutsche wartet. Richtung Amsterdam oder Venedig - oder ziehen Sie London vor?«
John Law nickte: »Ich komme wieder, Monsieur.«
»Das sagen sie alle. Aber nur die Pest kommt immer wieder.«
Die Männer, die sich in einer endlosen Kolonne Richtung Paris bewegten, waren allesamt kahl rasiert. Sie trugen die roten Filzjacken der Galeerensträflinge des Sonnenkönigs. Sein Bedarf an neuen Ruderern war enorm. In ganz Frankreich wurden immer mehr Menschen zum Ruderdienst auf den Galeeren verurteilt: Schwerverbrecher, Diebe, Landstreicher, Bettler, Zigeuner, Schmuggler - und Protestanten. Die Männer trugen alle eiserne Halsreifen. Daran hingen kurze Ketten mit einem Ring am Ende. Durch diese Ringe zog man eine zweite Kette, die alle Häftlinge miteinander verband. Fiel einer um, zog er die Häftlinge, die vor ihm und hinter ihm marschierten, mit zu Boden. Es war besser, nicht umzufallen.
Nicolas Paris musterte John Law, der ihm gegenüber in der Kutsche saß. Langsam und holpernd zog die schier endlose Kolonne von Gefangenen an ihnen vorbei.
»Sie sollten Monsieur le Marquis d'Argenson dankbar sein, dass Sie nicht zu Fuß nach Marseille müssen«, murmelte Paris mit müdem Blick. »Bis nach Marseille sind es über zweihundert Meilen. Das überlebt nicht jeder. Wenn wir in Marseille angekommen sind, haben wir immer zu wenige Sträflinge. Obwohl wir unterwegs alle Gefängnisse leer räumen. Es sind einfach zu wenige. Überall, wo Salz und Tabak geschmuggelt wird, gibt es Gefängnisse. Aber wir haben trotzdem immer zu wenig Ruderer.«
John Law sah die ausgemergelten Gesichter der Sträflinge, die bettelnd und flehend einen scheuen Blick in die Kutsche warfen, während diese an ihnen vorbeirumpelte. Die Menschen waren von Folter, Gewalt und Hunger zerrüttet. Jeder Zweite hatte Ohren und Nase verstümmelt und trug ein Brandmal im Gesicht.
»Das sind die Deserteure, Monsieur Law. Wir schneiden ihnen Nase und Ohren ab und brennen ihnen zwei Lilien auf die Wangen, die Lilie des Königs.«
»Und die dort drüben?«, fragte Law. Einige der Galeerensklaven hatten ein fremdländisches Aussehen.
»Türken, Muselmanen«, murmelte Nicolas Paris und gähnte geräuschvoll, »alles, was wir in Livorno, Venedig, Malta, Mallorca und Cagliari zusammenkaufen, sind Türken. Im Osten krepieren Christen an den Ruderbänken, und bei uns sind es halt Türken. Sehen Sie den da?« Paris beugte sich zum Fenster der Kutsche. »Das ist ein Irokese. Die werden vom Due de Denonville, dem Gouverneur Neufrankreichs, eingefangen und an die Armee verkauft. Aber das ist verderbliche Ware. Wenn Sie einen von denen nur anniesen, fällt er tot um.«
»Irokesen«, murmelte John Law.
»Ja, Irokesen. Wieso versuchen Sie es nicht einmal in der Neuen Welt, Monsieur Law? Im Land der Irokesen. Man sagt, ihre Weiber seien unersättlich wie wilde Tiere.«
»Ich ziehe die Spieltische Europas vor«, lächelte Law.
Lautlos betrat Catherine Knollys den roten Salon der englischen Katholiken auf Schloss St. Germain-en-Laye. Sie mied den hellen Schein der Öllampen und hielt sich diskret im Hintergrund. Nur
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