Das Große Spiel
ihre Augen bewegten sich rastlos umher, musterten die Menschen unter den großen Kronleuchtern, die an den Pharao-Tischen saßen und spielten. An den Wänden standen Diener, ebenso reglos und kaum sichtbar wie Catherine Knollys. Sie beobachteten das Geschehen, registrierten jede Handbewegung, jeden Blick. Ein Lakai näherte sich Catherine unc fragte sie leise nach ihrem Wunsch.
»Ist Sir George of St. Andrews anwesend?«, fragte Catherine Knollys. Der Diener nickte und zeigte auf den hintersten Pharao-Tisch. Catherine ging langsam zu dem Tisch hinüber. Das Spiel war in vollem Gang. Einer der Spieler war Sir George. Er berührte sanft die Hand seiner jungen Begleiterin und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Die Dame lächelte verlegen und verbarg ihr Gesicht hinter dem Fächer. Dann setzte Sir Georg noch weitere fünf Jetons auf Herzkönig und blickte selbstbewusst seine junge Begleiterin an.
»Septgagne, dixperd«, ließ sich der Bankhalter vernehmen.
Ausrufe des Erstaunens und der Enttäuschung wurden laut. Der Bankhalter sammelte die Einsätze ein, die auf die Sieben gesetzt worden waren. Sir George sah verärgert auf. Dabei bemerkte er die Frau im Hintergrund, die sich zielstrebig dem Tisch näherte. Er wollte sich schon erneut dem Spiel widmen, als ihm zu Bewusstsein kam, dass diese Frau niemand anderes als seine Ehefrau war. Seine Frau in Paris? Langsam nahm er seine Hand vom Schenkel der jungen Frau. Scheinheilig blickte er zu seiner Frau hoch. Doch sie war verschwunden. Dort, wo er sie eben noch gesehen hatte, stand jetzt ein älterer Herr mit weiß gepuderter Perücke.
Catherine Knollys hatte dem Pharao-Tisch bereits wieder den Rücken zugekehrt und strebte der hohen, doppelflügeligen Salontür zu, die von zwei Dienern bewacht wurde. Sie hatte die Tür noch nicht ganz erreicht, als Sir George seine Gemahlin erneut bemerkte. Er entschuldigte sich bei seiner Begleiterin und eilte ihr hinterher. »Catherine?«
Catherine Knollys blieb zwischen den beiden Dienern stehen und drehte sich um.
»Wer hat Ihnen erlaubt, London zu verlassen?«, fragte Sir George. Sein Blick war kühl, der Tonfall streng.
Catherine lächelte: »Angriff ist die beste Verteidigung, nicht wahr, Monsieur«, lächelte Catherine. Den beiden Dienern war die Konversation eher unangenehm. Sie schienen förmlich einzufrieren. Sie blickten starr über die Köpfe des Ehepaars hinweg. Sie atmeten kaum noch. Nur der Adamsapfel, der sich hektisch auf und ab bewegte, ließ darauf schließen, dass sie hellwach und lebendig waren. Für Adlige waren sie nicht mehr als bewegliches Mobiliar.
Adlige waren es gewohnt, ständig von Dienern umgeben zu sein, egal ob sie aßen, ihre Notdurft verrichteten oder die Magd in der Küche belästigten. Nur die Diener schienen sich kaum daran zu gewöhnen.
»Ich verstehe nicht, Madame. Ich frage Sie, wieso Sie nicht in London sind.«
»Weil ich jetzt in Paris bin, Monsieur. Ich wollte meinen geliebten Ehegatten überraschen.«
»Die Überraschung ist Ihnen gelungen, Madame. Aber ich bin nicht sehr erfreut darüber.«
»O«, lachte Catherine, »ich wollte Sie eigentlich gestern Abend überraschen, aber da waren sie noch mit Mademoiselle beschäftigt. Das hat wiederum mich nicht überrascht.«
»Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig, Madame«, zischte Sir George of St. Andrews, während die Adamsäpfel der beiden Diener noch hektischer auf und ab rollten. »Kehren Sie unverzüglich mit dem nächsten Postschiff nach London zurück.«
»Das werde ich nicht tun, Monsieur. Seit Sie nach Paris emigriert sind, höre ich nur noch Weibergeschichten von Ihnen. Ich würde mich nicht wundern, wenn Sie sich längst die Syphilis geholt hätten.«
»Madame, Sie gehen entschieden zu weit...«
»Monsieur, ich war stets bemüht, Sie zu mögen, Ihnen zu gefallen. Vielleicht hätte eines Tages daraus sogar Liebe werden können.«
»Madame, es gibt Regeln. Sowohl im Spiel als auch im Leben. Wenn Sie die Spielregeln des Lebens nicht verstehen, dann lassen Sie sich bitte von Ihrem Bruder, dem hoch geschätzten Lord Branbury, die Pflichten und Rechte einer Ehefrau erklären.«
Für einen Augenblick trafen sich die Blicke der beiden Diener. Beide wichen einander entsetzt aus.
»Ich sehe, dass der Himmel Sie bereits für Ihr ungezügeltes Leben bestraft hat, Monsieur. Die Syphilis scheint Ihren Verstand zersetzt zu haben.«
»Wären Sie ein Mann, würde ich Sie zum Duell auffordern«, zischte Sir George.
»Wäre ich ein Mann«,
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