Das Grosse Spiel
verletzt hat. Ender ist ein sensibles Kind, das wissen Sie, und er hat einige ziemlich üble Dinge mit den Körpern von Menschen gemacht; er könnte sich nach dem Ende jener Welt sehnen.«
»Oder nichts davon trifft zu.«
»Das Gedankenspiel lebt aus der Beziehung zwischen dem Kind und dem Computer. Gemeinsam erschaffen sie Geschichten. Die Geschichten sind wahr, in dem Sinne, daß sie für das Kind die Realität des Lebens widerspiegeln. Das ist alles, was ich weiß.«
»Und ich werde Ihnen verraten, was ich weiß, Major Imbu. Jenes Bild von Peter Wiggin war keines, das sich unseren Datenspeichern hier in der Schule entnehmen ließe. Wir haben nichts über ihn, elektronisch oder sonstwie, seit Ender hierhergekommen ist. Und jenes Bild ist neueren Datums.«
»Es ist erst anderthalb Jahre her, Sir, wie sehr kann sich der Junge verändern?«
»Er trägt sein Haar jetzt völlig anders. Eine angeborene Gebißanomalie ist durch kieferorthopädische Maßnahmen behandelt worden, was seinen Mund verändert hat. Ich habe ein neueres Foto von unten bekommen und verglichen. Die einzige Möglichkeit, wie der Computer hier in der Kampfschule dieses Bild erhalten haben könnte, ist, indem er es von einem Computer auf der Erde anforderte. Und nicht einmal von einem Gerät aus dem Netzwerk der I. F. Dazu bedarf es entsprechender Anforderungsvollmachten.
Wir können nicht einfach nach Guilford Country, North Carolina, schalten und ein Bild aus seinen Schulunterlagen abzapfen. Hat irgend jemand an dieser Schule die Vollmacht erteilt, das hier zu beschaffen?«
»Sie verstehen nicht, Sir. Unser Schulcomputer ist nur ein Teil des I. F.-Netzwerks. Wenn wir uns eine Anforderungsvollmacht besorgen, aber wenn der Gedankenspielcomputer entscheidet, daß das Bild notwendig ist ...«
»Okay, es ist gut für ihn. Aber warum? Sein Bruder ist gefährlich, sein Bruder wurde für dieses Programm abgelehnt, weil er eines der übelsten menschlichen Wesen war, das wir in die Finger bekommen haben. Warum ist er so wichtig für Ender? Warum, nach all dieser Zeit?«
»Ehrlich, Sir, ich weiß es nicht. Und das Gedankenspielprogramm ist so angelegt, daß es uns nichts verraten kann. Vielleicht weiß es tatsächlich selbst nichts. Das ist unerforschtes Terrain.«
»Sie meinen, der Computer improvisiert?«
»So könnte man es ausdrücken.«
»Na, dann fühle ich mich ein bißchen wohler. Ich dachte schon, ich wäre mit meiner Meinung allein.«
Valentine feierte Enders achten Geburtstag allein, in dem bewaldeten Garten ihres neuen Heimes in Greensboro. Sie kratzte ein Stückchen Erde von Kiefernnadeln frei und ritzte dort seinen Namen mit einem Zweig in den Mutterboden. Dann machte sie ein kleines Tipi aus Zweigen und Nadeln und entzündete ein kleines Feuer. Es erzeugte Rauch, der sich in die Äste und Nadeln der Kiefer über ihr wob. Den ganzen Weg bis hinauf ins Weltall, sagte sie lautlos. Den ganzen Weg bis hinauf zur Kampfschule.
Nie waren Briefe gekommen, und soweit sie wußte, hatten ihre eigenen Briefe ihn nie erreicht. Nachdem er abgeholt worden war, saßen Vater und Mutter anfangs am Tisch und gaben lange Briefe an ihn ein. Bald jedoch war es nur noch einmal in der Woche, und als keine Antworten kamen, einmal im Monat.
Jetzt war es zwei Jahre her, seit er weggegangen war, und es gab keine Briefe mehr, überhaupt keine, und kein Andenken an seinen Geburtstag. Er ist tot, dachte sie bitter, weil wir ihn vergessen haben.
Aber Valentine hatte ihn nicht vergessen. Sie ließ es ihre Eltern nicht wissen und machte vor allem nie eine Andeutung Peter gegenüber, wie oft sie an Ender dachte, wie oft sie ihm Briefe schrieb, von denen sie wußte, daß er sie nicht beantworten würde. Und als Mutter und Vater ihnen verkündeten, daß sie die Stadt verließen, um nach North Carolina zu ziehen, ausgerechnet dorthin, wußte Valentine, daß sie nicht mehr damit rechneten, Ender wiederzusehen. Sie verließen den einzigen Ort, wo er sie zu finden könnte. Wie würde Ender sie hier finden, zwischen diesen Bäumen, unter diesem unsteten und trüben Himmel? Er hatte sein ganzes Leben tief in Korridoren verbracht, und wenn er immer noch auf der Kampfschule war, gab es dort noch weniger Natur. Was würde er von dem hier halten?
Valentine wußte, warum sie hierhergezogen waren. Es war wegen Peter, damit das Leben zwischen Bäumen und kleinen Tieren, damit die Natur in einer so ursprünglichen Form, wie Mutter und Vater sie sich vorzustellen vermochten,
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