Das Grosse Spiel
kleinen Jungen zu bedauern. Aber ich habe dafür gesorgt, daß dich heute alle bemerkt haben. Sie werden jeden Schritt beobachten, den du machst. Alles, was du jetzt tun mußt, um ihren Respekt zu verdienen, ist, perfekt zu sein.«
»Also bekomme ich nicht einmal eine Chance zu lernen, bevor ich beurteilt werde.«
»Armer Junge. Keiner behandelt ihn fair.« Sanft schubste Ender ihn zurück gegen die Wand. »Ich werde dir sagen, wie man einen Zug bekommt. Zeig mir, daß du weißt, was du als Soldat zu tun hast. Zeig mir, daß du weißt, wie man andere Soldaten einsetzt. Und dann zeig mir, daß irgend jemand bereit ist, dir in die Schlacht zu folgen. Dann bekommst du deinen Zug. Aber bis dahin verdammt nochmal nicht.«
Bohne lächelte. »Das ist fair. Wenn du tatsächlich so arbeitest, bin ich in einem Monat Zugführer.«
Ender griff nach unten, packte ihn vorne an der Uniform und stieß ihn gegen die Wand. »Wenn ich etwas sage, Bohne, dann handele ich auch danach.«
Bohne lächelte nur. Ender ließ ihn los und ging davon. Als er in seinem Zimmer ankam, legte er sich aufs Bett und zitterte. Was tue ich da? Meine erste Trainingsstunde, und schon tyrannisiere ich Leute auf die gleiche Art wie Bonzo. Und Peter. Schubse Leute herum. Hacke auf irgendeinem armen kleinen Jungen herum, damit die anderen jemanden haben, den sie hassen können. Ekelhaft! Alles, was ich an einem Kommandanten haßte, praktiziere ich jetzt selbst.
Ist es ein Gesetz der menschlichen Natur, daß du unvermeidlich so wirst, wie dein erster Kommandant war? Ich kann auf der Stelle aufhören, wenn das stimmt.
Wieder und wieder dachte er an das, was er während seines ersten Trainings mit seinem neuen Trupp getan und gesagt hatte. Warum konnte er nicht so reden, wie er es bei seinen abendlichen Übungsgruppen immer tat? Keine Autorität außer hervorragendem Können. Er mußte nie Befehle geben, bloß Vorschläge machen. Aber das würde nicht funktionieren, nicht bei einem Trupp. Seine informelle Übungsgruppe mußte nicht lernen, etwas gemeinsam zu tun. Sie mußten kein Gruppengefühl entwickeln; sie hatten nie lernen müssen, wie man zusammenhielt und einander im Kampf vertraute. Sie brauchten nicht sofort auf Kommandos zu reagieren.
Und er konnte auch ins andere Extrem verfallen. Er konnte so lasch und inkompetent sein wie Rose die Nase, wenn er wollte. Er konnte dumme Fehler machen, ganz gleich, was er tat. Er brauchte Disziplin, und das bedeutete, raschen, endgültigen Gehorsam zu verlangen - und zu erhalten. Er brauchte einen gut ausgebildeten Trupp, und dazu mußte er die Soldaten immer und immer wieder drillen, noch lange nachdem sie dachten, sie hätten eine Technik gemeistert; bis sie ihnen so in Fleisch und Blut übergegangen war, daß sie nicht mehr darüber nachdenken mußten.
Aber was war mit Bohne? Warum hatte er sich auf den kleinsten, schwächsten und vermutlich klügsten der Jungen gestürzt? Warum hatte er Bohne das angetan, was Ender angetan worden war, von Kommandanten, die er verachtete?
Dann erinnerte er sich, daß es nicht mit seinen Kommandanten begonnen hatte. Bevor Rose und Bonzo ihn mit Verachtung behandelten, war er in seiner Startgruppe isoliert worden. Und es war auch nicht Bernard, der damit anfing. Es war Graff.
Es waren die Lehrer, die das getan hatten. Und es war kein unglücklicher Zufall gewesen. Das begriff Ender jetzt. Es war eine Strategie. Graff hatte ihn absichtlich von den anderen Jungen getrennt, hatte es unmöglich für ihn gemacht, ihnen nahe zu sein. Und jetzt begann er, die Gründe dahinter zu suchen. Der Rest der Gruppe sollte nicht geeint werden - tatsächlich wurden sie entzweit. Graff hatte Ender isoliert, um seinen Kampfgeist zu wecken. Nicht um ihn beweisen zu lassen, daß er fähig war, sondern daß er bei weitem besser war als jeder andere. Das war die einzige Möglichkeit, wie er Respekt und Freundschaft gewinnen konnte. Es machte ihn zu einem besseren Soldaten, als er es sonst je geworden wäre. Außerdem machte es ihn einsam, ängstlich, wütend, mißtrauisch. Und vielleicht machte ihn auch das zu einem besseren Soldaten.
Das ist es, was ich dir antue, Bohne. Ich tue dir weh, um dich in jeder Hinsicht zu einem besseren Soldaten zu machen. Um deinen Geist zu schärfen. Um deine Bemühungen zu verschärfen. Um dich aus dem Gleichgewicht zu bringen, damit du nie sicher bist, was als nächstes passiert, damit du stets zu allem bereit bist: bereit zu improvisieren, entschlossen zu gewinnen,
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