Das Grosse Spiel
gewinnen.«
Ender lächelte. »Hab' dich beim Training vermißt, Alai.«
»Ich war da. Aber sie hatten deine Armee abgesondert. Sieht aus, als wärst du jetzt was ganz Großes. Du kannst nicht länger mit den kleinen Jungs spielen.«
»Du bist eine volle Elle größer als ich.«
»Elle! Hat Gott dir befohlen, ein Boot oder so was zu bauen? Oder bist du in einer archaischen Stimmung?«
»Nicht archaisch, bloß arkan: Geheimnisvoll, umständlich. Ich vermisse dich schon, du beschnittener Hund.«
»Ach, weißt du das noch nicht? Wir sind jetzt Feinde. Nächstesmal, wenn ich dich im Kampf treffe, werde ich dir den Arsch vollhauen.«
Es war ein Scherz, wie immer, aber jetzt lag zu viel Wahrheit darin. Wenn Ender Alai jetzt so reden hörte, wie zum Spaß, spürte er den Schmerz, seinen Freund zu verlieren, und schlimmer noch: er fragte sich, ob Alai wirklich so wenig Schmerz verspürte, wie er zeigte.
»Du kannst es ja versuchen«, sagte Ender. »Ich habe dir alles beigebracht, was du weißt. Aber ich habe dir nicht alles beigebracht, was ich weiß.«
»Ich wußte schon immer, daß du etwas zurückgehalten hast, Ender.«
Eine Pause. Auf dem Schirm war Enders Bär in Schwierigkeiten. Er erkletterte einen Baum. »Das habe ich nicht. Etwas zurückgehalten.«
»Ich weiß«, sagte Alai. »Ich auch nicht.«
»Salaam, Alai.«
»Leider soll es nicht sein.«
»Was soll nicht sein?«
»Friede. Das ist es, was Salaam bedeutet. Friede sei mit dir.«
Die Worte brachten ein Echo aus Enders Erinnerung hervor. Die Stimme seiner Mutter, die ihm leise vorlas, als er ganz klein war. Denke nicht, daß ich gekommen bin, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Ender hatte sich vorgestellt, wie seine Mutter Peter den Schrecklichen mit einem blutigen Rapier durchbohrte, und die Worte waren zusammen mit dem Bild in seinem Geist geblieben.
Unter dem Schweigen starb der Bär. Es war ein niedlicher Tod zu fröhlicher Musik. Ender drehte sich um. Alai war schon fort. Er fühlte sich, als hätte er einen Teil seiner selbst verloren, eine innerliche Stütze, die seinen Mut und sein Selbstvertrauen aufrechterhielt. Mit Alai war Ender zu einer Einheit geworden, die nicht einmal mit Shen möglich gewesen wäre, zu einer Einheit, die so stark war, daß das Wort wir ihm viel leichter auf die Lippen kam als ich.
Aber Alai hatte etwas zurückgelassen. Ender lag im Bett, döste in die Nacht hinein und spürte Alais Lippen auf seiner Wange, als er das Wort Friede murmelte. Der Kuß, das Wort, der Friede waren immer noch bei ihm. Ich lebe nur aus der Erinnerung, und Alai ist mein Freund, so fest in meine Gedanken eingebrannt, daß sie ihn nicht herausreißen können. Wie Valentine, die stärkste Erinnerung von allen.
Am nächsten Tag begegnete er Alai auf dem Korridor, und sie begrüßten einander, berührten sich an den Händen, redeten, aber sie wußten beide, daß jetzt eine Mauer zwischen ihnen stand. Vielleicht würde sie sich durchbrechen lassen, irgendwann in der Zukunft, aber im Augenblick bestand die einzige wirkliche Verbindung zwischen ihnen in den Wurzeln, die bereits tief dort unten gewachsen waren, unter der Mauer, wo sie nicht unterbrochen werden konnten.
Das Schrecklichste jedoch war die Angst, daß es nie wieder eine Bresche in der Mauer geben würde, daß Alai in seinem Herzen froh über die Trennung war und bereit, Enders Feind zu sein. Denn jetzt, da sie nicht zusammen sein durften, konnten sie nur unendlich weit auseinander sein, und was fest und unerschütterlich gewesen war, erschien jetzt zerbrechlich und unwirklich; von dem Augenblick an, da wir nicht zusammen sind, ist Alai ein Fremder, denn er hat nun ein Leben, das nicht Teil meines eigenen ist, und das bedeutet, daß wir einander nicht kennen, wenn wir uns sehen.
Es machte ihn traurig, aber Ender weinte nicht. Darüber war er hinweg. Als sie Valentine zu einer Fremden gemacht hatten, als sie sie als Werkzeug benutzt hatten, um Ender zu bearbeiten, von jenem Tag an konnten sie ihn nie wieder tief genug verletzen, um ihn zum Weinen zu bringen. Dessen war sich Ender sicher.
Und in seinem Zorn entschied er, daß er stark genug sei, um sie zu besiegen, die Lehrer, seine Feinde.
Kapitel 11
Veni, vidi, vici
»Diese Kampfeinteilung kann doch nicht Ihr Ernst sein.«
»Das ist sie aber.«
»Er hat seine Armee erst seit dreieinhalb Wochen.«
»Ich hab's Ihnen gesagt. Wir haben Computersimulationen
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