Das große Yogabuch
Warum, wird klar, wenn man etwas mehr über den historischen Hintergrund dieses Begriffs erfährt.
Die wilden Rösser der fünf Sinne zügeln
Indien ist seit ungefähr 1500 v. Chr. in weiten Teilen von den Indoariern erobert worden, die ihre Kriegszüge und Landnahmen mit Streitwagen machten, die von edlen Rössern gezogen wurden. Diese Pferde waren der wichtigste Besitz der Häuptlinge, und ihr Prestige hing wesentlich von der Anzahl und Kraft ihrer Hengste ab. Die Tiere zu bändigen und sie vor einem Wagen anzuschirren, erforderte Kraft und Geschicklichkeit.
Es gibt die Theorie, dass die Eroberer – neben der Kunst, Streitwagen zu lenken, das Schwert zu führen und mit Pfeil und Bogen zu schießen – eine Art der Geistesdisziplin mitbrachten, die sie Yoga nannten. Sie zeigte Methoden auf, die unruhigen und »wilden Rösser der fünf Sinne« zu zügeln und vor den Wagen zu spannen, der den Körper symbolisiert. Wagenlenker ist der Geist, der bestimmt, wohin sich der Körper und die Sinne bewegen sollen.
Dementsprechend ist es für die heutigen Indologen näherliegend, den Begriff Yoga mit »Gespann« zu übersetzen, da »Joch« sich eher auf die Ackerbaukultur der eroberten Völker bezieht.
Neben dieser historischen Bedeutung wurde der Begriff Yoga aber auch schon sehr früh sinngleich verwandt für alle Techniken der Konzentration, Verinnerlichung und der Verbindung mit etwas Höherem, in der Regel mit dem Göttlichen.
Die lange Geschichte
Yoga ist in Indien seit 3500 Jahren bekannt – dieser Zeitraum zumindest lässt sich zuverlässig durch Quellen belegen. Es gibt immer wieder Spekulationen, dass der Yoga viel älter sei, aber für die Zeit davor ist die Quellenlage ungewiss; man kann nur vermuten, dass yogaähnliche Techniken sowohl in der Induskultur (Jungsteinzeit) als auch im Rahmen schamanischer Techniken auf dem indischen Subkontinent ausgeübt wurden. Wenn es so war, sind diese frühen Strömungen mit größter Wahrscheinlichkeit so mit dem sich später herausbildenden klassischen Yoga verschmolzen, dass sie sich heute nicht mehr von ihm trennen lassen.
Askese und Fakirtum waren vor gut 1000 Jahren fester Bestandteil der religiösen Praxis. Die Asketen glaubten, dass extremer Verzicht und Selbstgeißelung – zum Beispiel das Sitzen zwischen fünf Feuern an glutheißen Tagen oder jahrelanges Stehen auf einem Bein – die Götter zwingen würden, die Gebete zu erfüllen. Fakire dagegen wollten zeigen, dass Gott in ihnen so stark sei, dass ihr Körper unempfindlich gegen Verletzungen werden konnte. Viele Sadhus, die »heiligen Männer« Indiens, leben noch heute in dieser Tradition.
Die Frühzeit – Yoga als magisches Ritual
Uralte Textsammlungen, Vedas genannt, belegen, dass der Yoga in seiner Frühzeit viel mit magischen Opferhandlungen und Ekstasetechniken zu tun hatte. Er diente dazu, durch intensive Konzentration auf die angerufenen Götter zu Visionen oder ekstatischen Zuständen zu finden, die den Erfolg magischer Praktiken wie Opferhandlungen oder Feuerrituale garantieren sollten.
Diese Rituale und Opfer wurden im Laufe der Zeit immer aufwändiger und komplizierter. Opfer--te man früher ein Pferd, so wurden den vedischen Göttern nun schon mal 1000 Hengste dargebracht. Entsprechend wurden auch die Anstrengungen im Yoga verstärkt, sodass Fakirtum und extreme Askese entstanden – beides wird heute noch oft mit dem Yoga in Verbindung gebracht.
Meditation als Weg zur Selbsterkenntnis
Diese Entwicklung führte dazu, dass eine Gegenbewegung aufkam: Das äußere Opfer wurde mehr und mehr durch ein inneres Opfer ersetzt, und statt Reis, Blumen oder Tieren opferte man nun zum Beispiel symbolisch den Atem.
An die Stelle von Askese trat die Meditation darüber, was das eigentliche Selbst des Menschen ausmacht und in welchem Zusammenhang es mit dem kosmischen Selbst steht.
Diese vielfältigen Reflexionen und Spekulationen fanden ab etwa 800 v. Chr. ihren Niederschlag in den Upanishaden. In diesen Textsammlungen wurde in Gesprächsform zwischen Lehrer und Schüler über die existenziellen Fragen der Menschheit nachgedacht. Die Upanishaden entwickelten die Lehre, dass Gott und die Schöpfung identisch sind, dass also alles eins ist. Da Gott in allem ist und alles in Gott, wurden äußere Opfer und Rituale überflüssig. Stattdessen ging es nun darum, in sich den göttlichen Wesenskern, das Selbst (Atman) zu entdecken, also das, was unsterblich, ewig und unbeeinflussbar ist.
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