Das große Yogabuch
Zeit entstand auch die Vorstellung von der Wiedergeburt und einem persönlichen Schicksal, das von Wiedergeburt zu Wiedergeburt mitgeführt wird, in Form der Konzepte von Svadharma (die Aufgabe hier und jetzt in der Welt) und Karma (das Gesetz von Ursache und Wirkung).
Ein Weg zu unmittelbarer religiöser Erfahrung
In dieser Zeit wurde der Yoga in Indien zum ersten Mal populär. Während er vorher vor allem von weltabgewandten Asketen und Suchern (Rishis) ausgeübt worden war, gewann er nun zunehmend Einfluss bei all den Kasten, die sich nicht mit der Ausübung der »offiziellen« Religion, also des Hinduismus, beschäftigen durften.
Menschen niederer Kasten, Kastenlose, zu denen auch die Ureinwohner des indischen Subkontinents zählen, und Frauen (!) hatten keinen Zugang zum Ritual und religiösen Wissen, sondern ausschließlich Männer der drei oberen Kasten. Die Ausübung religiöser Praktiken wie Opfer und Gebet wurde durch eine übermächtige Priesterschaft geregelt, die die Tempel wie kleine Unternehmen verwaltete. Die Brahmanen ließen sich ihr Wissen, wie man mit Gott in Verbindung treten kann, teuer bezahlen und machten Religion zunehmend zu einer Angelegenheit der Wohlhabenden.
Im Gegensatz dazu ermöglichten die Techniken des Yoga theoretisch jedem Menschen die unmittelbare religiöse Teilhabe, da Gott nun im eigenen Inneren gesucht wurde. Er zeigte Methoden, Zugang zu Gott zu finden, Selbsterkenntnis zu erlangen und das eigene Schicksal positiv zu beeinflussen. Somit waren die Menschen nicht mehr darauf angewiesen, dass ihnen die Priester bei der Befreiung aus dem »ewigen Rad der Wiedergeburten« halfen. Jeder konnte sein Geschick selbst in die Hand nehmen und Verantwortung für sein Leben im Hier und Jetzt übernehmen.
Praktisch sah es jedoch weiterhin so aus, dass dieser Weg nur den wenigen offenstand, welche die Texte lesen konnten oder deren Lebensumstände es erlaubten, dass sie eine Weile mit einem spirituellen Lehrer (Guru) zusammenleben konnten.
Im 5. und 6. Jahrhundert v. Chr. entwickelte sich in Indien der Buddhismus. Der historische Buddha hatte selbst jahrelang Yoga praktiziert – daher lassen sich viele Elemente des Yoga in den Meditationspraktiken des Buddhismus finden.
Vor allem das Sitzen in der Stille (Asana), die Atembeobachtung (Pranayama) und das Zurückziehen der Sinne (Pratyahara) wurden fester Bestandteil des buddhistischen Übungswegs.
Der Yoga in der Bhagavadgita
Einer der berühmten Texte, der den Weg des Yoga beschreibt, ist die Bhagavadgita (Der Gesang des Erhabenen), die jedem Inder von Kindesbeinen an geläufig ist. Sie ist Teil eines der großen indischen Nationalepen, des Mahabharata.
Im zentralen Teil dieser Geschichte legt der Gott Krishna dem Kriegshelden Arjuna den Weg des Yoga dar. Genauer gesagt zeigt er ihm drei sich ergänzende Yogawege auf, die dem unterschiedlichen Naturell der Menschen gerecht werden:
• der Yoga des aktiven Tuns (Karma-Yoga),
• der Yoga der Erkenntnis (Jnana-Yoga) und
• der Yoga der liebenden Hingabe an das Göttliche (Bhakti-Yoga).
Krishna erklärt Arjuna, dass jeder Mensch, unabhängig von seiner Kaste, die Methoden des Yoga nutzen und im Geist des Yoga leben kann.
Ein ganz wesentlicher Gedanke dieser Belehrung besagt, dass der Mensch die Umstände annehmen muss, unter denen er geboren wurde, also Kastenzugehörigkeit, Gesundheitszustand und Grad des Wohlstands, um dann daraus das Beste zu machen. Die Bhagavadgita zeigt aber auch auf, dass unserer inneren Einstellung viel Leid entspringen kann, und sie lehrt, wie wir zu einer Geisteshaltung gelangen können, die uns tatsächlich und unter allen Umständen hilft, solches Leid zu vermeiden. Sie gibt außerdem Hinweise darauf, wie wir unserem Leben Sinn und Perspektive geben können.
Ähnlich wie die Lehren Buddhas, die etwa zeitgleich entstanden, sind auch die Gedanken der Bhagavadgita zeitlos und heute noch hilfreich, obwohl sie unter dem Einfluss anderer Herrschaftsstrukturen entwickelt worden sind.
Der »klassische« Yoga
Der andere Text von überrragender Bedeutung ist das Yoga-Sutra (Sutra = Leitfaden). Es wurde von dem Weisen Patañjali verfasst, der das Yogawissen seiner Zeit zwischen etwa 200 v. Chr. und 200 n. Chr. niederschrieb (man weiß nicht genau, wann er gelebt hat). Er begründete damit die systematische Wissenschaft des Yoga, die bis heute aktuell geblieben ist. Mit psychologischem Blick diagnostizierte er, was den Geist des Menschen unklar macht, was
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