Das große Zeitabenteuer
O'Leary bestellte Rostbraten mit Kartoffeln und versuchte dann das Bier. Gar nicht übel. Anscheinend war er in die richtige Kneipe geraten.
»He, du bist spät dran, Kumpel«, sagte eine heisere Stimme hinter ihm. Das breite Gesicht unter den roten Haaren trug einen vorwurfsvollen Ausdruck. »Ich warte schon eine Stunde hier.«
»Hör zu, Roter Stier«, begann O'Leary rasch, »ich habe dir doch befohlen, mich erst anzusprechen, nachdem ich mir sechsmal die Nase geputzt und… äh… mit einem roten Taschentuch gewinkt habe.«
»Nein, du hast gesagt, du wurdest neunmal niesen und dir die Nase mit einem roten Taschentuch putzen. Siehst du, ich habe auch eine Nelke; sie ist schon etwas verwelkt, aber…«
»Wunderbar, Roter. Ich merke schon, daß unsere Partnerschaft sich für beide Teile lohnen wird. Du verschwindest jetzt gleich in Richtung Palast; die meisten Soldaten des Wachregiments sind auf der Suche nach der Prinzessin unterwegs. Du kannst dich einschleichen und alles Mögliche zusammenraffen, bevor sie zurückkommen.«
»Aber die Stadttore sind geschlossen.«
»Du kletterst einfach über die Mauer.«
»Richtig – das ist eine gute Idee –, aber was wird aus meinem Pferd? Es klettert nicht allzu gut.«
»Hmmmm. Da fällt mir etwas ein, Roter. Ich bewahre es dir inzwischen auf.«
»Wirklich anständig von dir, Partner. Es ist draußen angebunden. Wo treffen wir uns wieder?«
»Am besten bleibst du im Palastgarten; dort gibt es reichlich Deckung. Wir treffen uns übermorgen früh unter dem weißen Oleander.«
»Klingt nicht übel«, meinte der Rote Stier bedächtig. »Und was tust du inzwischen?«
»Ich sehe mich nach neuen Gelegenheiten um.«
Der Rote Stier erhob sich und knöpfte seinen Pelz zu. »Okay, dann treffen wir uns wie vereinbart.« Er drehte sich um und ging hinaus. Die Wirtin sah ihm nach, während sie O'Learys Teller auf den Tisch stellte.
»He, ist das nicht der Beutelschneider und …«
»Psssst! Er ist Geheimagent Seiner Majestät«, flüsterte Lafayette. Die Wirtin schüttelte überrascht den Kopf und zog sich zurück.
Eine halbe Stunde später bestieg Lafayette gesättigt und leise rülpsend das Pferd des Roten Stiers und ritt auf der Poststraße nach Westen davon.
8
Bei Tagesanbruch hatte O'Leary die fruchtbare Ebene westlich der Residenzstadt durchquert und dabei zahlreiche Dörfer und Bauernhöfe hinter sich gelassen, deren Bewohner friedlich schliefen. Weit voraus erkannte er in der Morgensonne eine bläuliche Bergkette. Wo zuvor grüne Felder zu beiden Seiten der Straße gelegen hatten, erstreckte sich jetzt dürres Weideland; hier und da standen kümmerliche Bäume, in deren Schatten mageres Vieh wiederkäute. O'Leary ritt die letzte Steigung hinauf, hielt plötzlich an, runzelte die Stirn und legte eine Hand über die Augen.
Er hatte damit gerechnet, irgendwie gewarnt zu werden, bevor er die Wüste erreichte – vielleicht durch eine Kneipe mit dem Schild »Letzte-Chance-Charlie« oder so ähnlich, wo er Lebensmittel für den langen Ritt kaufen konnte. Statt dessen saß er hier hundemüde und erschöpft im Sattel und hatte die Wüste vor sich.
Und er war allmählich wieder hungrig. Er ritt weiter und dachte an Essen. Zum Beispiel Karamellen: nahrhaft, kompakt, haltbar, wohlschmeckend und bekömmlich. O'Leary spürte deutlich, daß ihm bei diesem Gedanken das Wasser im Mund zusammenlief. Eigentlich merkwürdig, daß er nie genügend Karamellen gegessen hatte. In Colby Corners gab es in jedem Drugstore welche zu kaufen, aber er hatte sich immer ein wenig geniert, einfach in den Laden zu gehen und Bonbons zu verlangen. Nach seiner Rückkehr würde sich das ändern – er würde reichlich Karamellen einkaufen und nach Belieben davon naschen.
Er kniff die Augen zusammen, sah über die Dünen hinweg und konzentrierte sich auf die Vorstellung, die Satteltaschen seien mit erstklassigen Lebensmitteln gefüllt. Er brauchte nur abzusteigen, die Taschen aufzuschnallen und zuzugreifen. Kompakte, gehaltvolle Rationen, die für mindestens eine Woche reichen würden…
Der wohlbekannte kleine Ruck, als habe die Zeit kurz stillgestanden. Lafayette grinste zufrieden. Schön, jetzt war alles in bester Ordnung. Er wollte nur noch eine Meile weiterreiten, damit ihn niemand überraschen konnte; dann würde er sich ein üppiges Mahl gönnen.
Hier draußen in der Wüste war es verdammt heiß. Lafayette saß schräg im Sattel, weil er die Blasen so weniger spürte. Die Morgensonne
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