Das gruene Gewissen
zweistelligen Bereich. 2035 wird der Anteil der Fossilen noch drei Viertel an der weltweiten Energieversorgung betragen, ein nur leichter Rückgang im Vergleich zu 2009. 63 Der Grund dafür mag im Gesicht all jener, die für eine Reduzierung des Verbrauchs fossiler Energieträger kämpfen, wie eine Ohrfeige wirken: Der Ölpreis ist stärker als der Kohlepreisgestiegen, was mit der Exploration neuer Lagerstätten zu tun hat. Obwohl also mehr Kohle verbraucht wird und sie sowohl verstromt als auch verflüssigt wird, ist der Preis nicht nach oben gegangen.
Der gegenwärtige Blick auf die Welt lehrt vor diesem Hintergrund, dass die grünen Ideen aus Deutschland auch aus ökonomischen Gründen noch keine konsequenten Nachahmer gefunden haben. Die niederländische Shell ist mit über 330 Mrd. Dollar Umsatz im Jahr 2011 der größte Konzern der Welt gewesen, gefolgt von Exxon, Sinopec, BP, Petro China, Chevron und anderen „Big Oils“. 64 Während US-Präsident Obama den Klimawandel anfangs noch als ein Leitthema seiner ersten Präsidentschaft bezeichnete und mit Steven Chu einen Klimaschützer und Anhänger des Climate-Engineering zum Energieminister machte, nimmt die politische Klasse das Wort Klima heute nur noch selten in den Mund. Stattdessen fördern die USA, die laut IEA 2017 der größte Öl-Produzent der Welt sein werden, so viel Öl wie nie zuvor und haben mit der Shale-Gas-Revolution den Weg in Richtung neofossiles Zeitalter eingeleitet. Wirtschaftlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit sind die alten und neuen Eckpfeiler der amerikanischen Politik.
Es ist wie alles eine Frage der Geschichte (im Sinne von Story ) und wie man sie erzählt. Ob als eine rasante Utopie à la Jeremy Rifkins dritter industrieller Revolution oder als Möglichkeit einer größeren strategischen Unabhängigkeit von anderen Ländern und dem Besinnen auf heimische Stärken: Die erneuerbaren Energien werden zumindest regional in den USA zunehmend Unterstützer finden, da sie die Importabhängigkeit nicht anders als heimische fossile Energieträger verringern und man wie beim Gas zudem keine Ermahnungen durch internationale Abkommen zum CO 2 fürchten muss. Kohle, Gas und Ölsande sind aufgrund des Preisverfalls infolge der Erschließung neuer Vorkommen aber in greifbarer Nähe, und solange dies so ist, dürfte sich an der Haltung grundlegend kaum etwas ändern. Peak Oil und Peak Coal sind zumindest gegenwärtig kein Thema.
Tatsächlich ist der Erdgaspreis in den USA um achtzig Prozent gefallen, er beträgt in etwa ein Drittel des Preises, den man in Deutschland zahlt. Über den Energiesektor haben die Vereinigten Staaten eine Re-Industrialisierung eingeleitet, während die Lasten für die Industrie in Deutschland in Summe größer geworden sind und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen am Standort sinkt. Dies gilt vor allem für energieintensive Prozesse. Schon heute sind die Industriestrompreise in Deutschland die zweithöchsten in Europa. Gegenüber den USA oder China ist der Abstand deutlich größer.
Ob die USA, die 2015 der weltweit größte Gas-Produzent sein werden, langfristig besser damit fahren werden, das bestehende System auszubauen, wird sich zeigen. Zu niedrige Energiepreise können nicht minder schädlich sein als zu hohe. Denn sie verhindern Richtungsentscheidungen, die angesichts des Wunsches von immer mehr Menschen, den westlichen Lebensstandard zu erreichen, notwendig sind. Anders als bei den Wegen zur Ressourceneffizienz kann an ihrer Notwendigkeit kein Zweifel bestehen.
Die USA sind für die Ankurbelung der Wirtschaft weiter bereit, Umweltgefahren wie jene beim Öl-Fördern im Golf von Mexiko in Kauf zu nehmen. Doch sie sind in punkto fossile Revolution kein Einzelfall: Auch Kanada, das große Vorkommen an Kohle erschließen wird, wobei die First Nations eine Schlüsselrolle spielen werden, ist aus dem Kyoto-Abkommen ausgetreten. China ist ihm nie beigetreten. Dabei wäre ein Engagement Chinas angesichts der Tatsache, dass Deutschland für drei und Europa für fünfzehn Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich ist, während China und die USA zusammen fast die Hälfte ausmachen, die einzige Chance.
Renommierte Klima-Ökonomen wie Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) weisen mittlerweile in aller Unmissverständlichkeit darauf hin, dass die in Deutschland hochgehaltene Green-Growth-Strategie allein – also der schlichte Zuwachs grüner Technologien
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