Das gruene Gewissen
die Zahlen zur biologischen Landwirtschaft etwas genauer, stößt man zunächst auf einen ähnlichen Effekt wie beim Verhältnis von Hausgeburten zu klinischen Geburten: In unserer Wahrnehmung ist der Sektor deutlich größer als in Wirklichkeit. Er liegt im einstelligen Prozentbereich aller agrarischen Produkte. So hat sich die ökologische Landwirtschaft in den vergangenen Jahren im Bewusstsein vieler Käufer stärker eingebrannt, als ihre Umsätze wuchsen, obwohl auch die sehr respektabel sind.
Die wesentlichen Unterschiede zu konventionell erzeugten Produkten ergeben sich aus den besonderen Anforderungen an das Saatgut – den Verzicht auf bestimmte Düngemittel, vor allem aber auf gentechnisch verändertes Saatgut – und natürlich dem Preis. Denn Landwirte sind heute wie zu jeder Zeit vor allem Unternehmer. Sie produzieren oder machen das, was sich rechnet, wie man auf Landfesten nach ein paar Bier mit Blick auf die Biomassenanlagen schnell raus hat. Düngung und Pflanzenschutz, Treibstoff und Lohnunternehmerkosten sind Betriebsmittelausgaben, die den Gewinn schmälern können, wenn man sie nicht richtig einsetzt.
Bei der Nutztierhaltung liegen die Anforderungen genau auf einer Linie mit dem Metzger aus Ehingen: Neben Auslaufmöglichkeiten und bestimmten Viehmengen pro Stalleinheit verzichtet man weitgehend auf Medikamente und setzt auf ökologisch erzeugte Futtermittel – Attribute, die auch Paul Götz unterschreiben würde. Auch dadurch hat die Nachfrage nach ökologisch erzeugten Lebensmitteln in nur wenigen Jahren im zweistelligen Bereich zugenommen. Aus Sicht der Verbraucher ist dafür neben dem zwar nicht eindeutig nachgewiesenen, aber so wahrgenommenen höheren Gesundheitswert insbesondere der Umgang mit Tieren und Umwelt entscheidend. Die Branche – vertreten durch Bioland, Naturland, Demeter, Biokreis oder Biopark, um die größten Zusammenschlüsse von Mitgliedsbetrieben zu nennen – kann sich alles in allem auf Wachstum einstellen. Nirgendwo in Europa werden mehr Bio-Lebensmittel abgesetzt als in Deutschland, und das mit weitem Abstand: Es sind 71 Euro pro Kopf und Jahr. 87
Die konventionelle Landwirtschaft
Vor einhundert Jahren – dies kann man im Situationsbericht 2011/2012 des Deutschen Bauernverbands nachlesen – lag der Ertrag aus einer Produktionsfläche von einem Hektar bei Weizen etwa bei 18 Dezitonnen. Heute ist er viermal so hoch. Während es in Deutschland um 1900 noch 5,6 Millionen bäuerliche Betriebe gab, die eine Fläche von 26 Millionen Hektar im ehemaligen Reichsgebiet bewirtschafteten, sind es heute 301000 Betriebe auf einer kleiner gewordenen Fläche von ca. 17 Millionen Hektar. Hier ist zu beachten, dass die absoluten Zahlen insofern in die Irreführen, als die Grundfläche größer war und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vierzig Prozent seiner Fläche verlor. Die Gesamterzeugung auch in der Tierhaltung ist heute dreimal so hoch, weshalb Futtermittelimporte in neuartigen Größenordnungen notwendig sind – sowohl im konventionellen wie im ökologischen Bereich.
Ein Landwirt ernährte am Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland vier andere Menschen. Heute sind es mehr als 130. 88 Die ausschlaggebenden Gründe dafür sind vor allem der Einsatz von Düngemitteln sowie Züchtungsverbesserungen und ein modernes Landmanagement. Dadurch konnte es etwa beim Getreide zu deutlichen Ertragssteigerungen kommen – und das auf einer sehr viel kleineren Fläche.
Das Prinzip gilt auch in der Milchwirtschaft. Immer weniger Landwirte produzieren immer mehr Nahrung, unterstützt von Informations- und Steuerungselektronik, Melkrobotern und ausgestattet mit großen Maschinen. Eine moderne Milchkuh gibt im Schnitt 20 Liter Milch und versorgt damit 23 Verbraucher. Top-Milchkühe geben sogar 30 und mehr Liter am Tag.
Dies hat auch die Kosten der Landwirtschaft verändert. De facto ermöglichen es niedrige Preise, hochwertige Nahrungsmittel günstig zu erwerben. Während der Anteil der Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel an den Gesamtausgaben vor einhundert Jahren noch bei fünfzig Prozent lag, liegt er heute nur noch bei 14 Prozent. 89 Deutschland bewegt sich damit europaweit im Mittelfeld. Denn die Unterschiede auf europäischer Ebene sind gewaltig. In Drittweltländern beträgt der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel sogar bis zu sechzig Prozent am Einkommen und mehr.
In Deutschland sind Lebensmittel in den letzten Jahrzehnten immer erschwinglicher geworden, was zu
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