Das gruene Gewissen
nicht weiterkam und einem Ochsen mit dem Schmiedehammer auf den Kopf schlug, worauf dieser zusammensank wie durch den Estoque des Matadors getroffen.
Nach wenigen Schritten stehen wir an der alten Metzgerei, das Urgeschäft des Betriebs. Das Haus in der Hauptstraße 99 ist heute ebenfalls nicht mehr in Götz’ Besitz. Die Tür ist vermauert, die Scheiben sind verhangen. Damals, in der goldenen Zeit der Firma, gab es in Ehingen noch 10000 Einwohner und zwölf Metzgereien. Sie sind mit Ausnahme des alten Geschäfts von Paul Götz und einem weiteren alle verschwunden, obwohl die Einwohnerzahl anders als in vielen ostdeutschen Gemeinden nicht stagnierte oder zurückging, sondern stieg. Auch durch umliegende Gemeinden hat Ehingen heute weit mehr Einwohner als früher.
Wir gehen durch die Ehinger Altstadt, in der beinahe jedes zweite Geschäft leer steht. Man sieht junge Familien und Frauen mit Kopftüchern. Der Strukturwandel, den ich aus anderen Regionen kenne, ist auch hier spürbar. Die Filiale von „Schlecker XXL“ hat an diesem Samstag geöffnet. Früher gab es hier neben kleinen Bäckereien und Metzgereien die typischen Insignien deutscher Innenstädte, Feinkostgeschäfte, Lederwarengeschäfte, Schuhgeschäfte, Oberbekleidungsgeschäfte, die einmal die ganze Bevölkerung versorgten. Immerhin, ein altes Hutgeschäft ist noch da.
„Das hier war einmal das führende Kleidungsgeschäft“, sagt Götz und zeigt auf den Namenszug „Kaim“. Im Jahr 2011, werde ich später nachlesen, gab auch Ehingens traditionsreiches Modehaus auf. In der Presse werden auch hierfür das Erschließen von Handelsflächen am Stadtrand, das man von den Einkaufszentren im Osten kennt oder so manchem Outlet-Center im Westen, sowie die schöne Idee verkehrsberuhigter Fußgängerzonen in den Innenstädten als Gründe genannt. Und doch gibt es andere.
Wie gut Götz’ eigenes Geschäft damals funktionierte, mag die Aussage eines Lieferanten für Wurstmaschinen und andere Geräte ausdrücken, der die südwestdeutsche Betriebsstruktur wie seineWestentasche kannte und über ein halbes Jahrhundert Kontakt auch zur Familie Götz hatte. Er sei sich sicher gewesen, dass es in Süddeutschland keinen zweiten Betrieb gegeben habe, der auf einer so überschaubaren Ladenfläche vergleichbare Umsätze erzielte. Und er hätte, räumt Götz ein, noch mehr aus dem Betrieb rausholen können bei niedrigeren Personalkosten und beim Verzicht auf eine heute kaum vorstellbare Mentalität, jeden Kundenwunsch zu erfüllen und alten Damen die Einkaufstasche im Zweifelsfall auch nach Hause tragen zu lassen. „Es ging uns immer gut, aber wir waren nicht überragend rentabel.“
Tiere essen
Wir stehen auf einer kleinen Brücke, die über das Flüsschen Schmiech ragt, dem man auf Schritt und Tritt begegnet. Ich muss mich konzentrieren, da direkt unter uns mehrere Forellen in der Strömung stehen. Götz sagt, für ihn war der Umgang mit den Tieren, überhaupt die ganze Haltung zur Produktion von Lebensmitteln nie eine Sache wie jede andere. Seine Freizeit hat er in den letzten Jahren beim Fischen an der Donau oder in Alaska in abgelegenen Lodges verbracht, wo man noch Lachse fangen und sie danach gleich am Lagerfeuer verspeisen kann. Dasselbe Prinzip.
„Dort drüben“, meint er, „war der Bauer, mein Cousin. Das war der Weg, den die Tiere zum Schlachten zurücklegen mussten.“ Und er wiederholt es wie eine Beschwörung, die pittoresk wirkt und nichts mit den Bedingungen der Großstädte zu tun hat, sondern eben nur hier funktionieren kann, in der Struktur einer ehemaligen Ackerbürgerstadt: „Dort drüben wurden sie gehalten, zwei Gassen weiter wurden sie geschlachtet, wiederum ein paar Gassen weiter verarbeitet und dann an die Kunden verkauft. Das meiste spielte sich binnen weniger Quadratkilometer ab, inmitten der Stadt.“ Nicht draußen, abgeschirmt von den Blicken der Menschen, heißt das.
Es klingt wie ein Märchen aus einer anderen Zeit: Mehrmals in der Woche fuhr Götz hierher oder zu seinen Bauern in die umliegenden Dörfer, wobei er sich nie weiter als in einem Radius von zwanzig Kilometern bewegte. Er kannte jeden von ihnen – und sie kannten jedes ihrer Tiere. Götz suchte sich ein paar Schweine und ein Rind aus, verlud das Vieh auf seinen Transporter und fuhr zum Schlachthof, wo er die Tiere selbst schlachtete. Das war ganz in der Nähe der Stelle, an der wir nun stehen. „Ich habe immer nur solche Höfe genommen, die so hielten und fütterten,
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