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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Moeller
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hat, Papierfabriken, Textil, Baustoffe.
    Wie früher die Burgen von Feudalherren erheben sich in Schelklingen und Allmendingen die Betontürme der Zementwerke über die Dächer der Häuser. Die Schwäbische Alb, sie ist ein Kalksteingebirge, in dem es viele Höhlen gibt. Und dann sieht man rechterhand auf dem Plateau Werkhallen und gigantische Krane vom Ausmaß von Offshore-Windrädern. Es ist die Firma Liebherr, die hier den größten Teleskopkran der Welt produziert. Man liefert auch nach China und die USA. Liebherr ist zugleich einer der beiden verbliebenen großen Arbeitgeber am Ort, nachdem ein anderer im Frühjahr 2012 weggebrochen ist: Schlecker.
Schleckerland
    Im Frühjahr 2012 wurde der Insolvenzantrag für das Unternehmen gestellt, am 1. Juni die Zerschlagung und mithin die Kündigung der 13000 Beschäftigten bekannt gegeben. Es waren fast alles Frauen. Auch und gerade aus Ehingen, wo es mehr als eintausend Beschäftigte traf, ein Schlag ins Kontor im strukturstarken Südwesten, in dem solche Hiobsbotschaften bislang die Ausnahme waren. Die Arbeitslosigkeit im Alb-Donau-Kreis liegt bei unter vier Prozent.
    Die Kinder von Anton Schlecker, Lars und Meike, in dieser Zeit permanent in den Medien, gingen hier zur Schule. Auch ihr Vater wurde in Ehingen geboren. Er war es, der das Firmenimperium der Schlecker-Drogeriemärkte mit einer ersten Filiale in Kirchheim unter Teck im Jahr 1975 begründete. Dabei hatte er dort nicht als Drogist begonnen, sondern als Metzger, der Fleisch und Wurstwaren, die sogenannte Schlecker-Wurst, billig unter die Menschen brachte. Im Alter von 21 Jahren war er einstmals der jüngste Metzgermeister in Baden-Württemberg.
    Anton Schlecker hatte 1966 im hiesigen Verbrauchermarkt als Erster ein „Cash und Carry“ eröffnet. Der Slogan lautete: „Alles unter einem Dach“. Die Autos stauten sich, und die kleinen Fachgeschäfte profitierten. Bereits Schleckers Vater hatte in Ehingen geschlachtet. Er tat dies oft zusammen mit dem Vater von Paul Götz, einem rüstigen Mann Anfang sechzig, der im Aufsichtsrat der hiesigen Volksbank sitzt und bis 2009 ein angesehenes Fachgeschäft in der vierten Generation führte, zuletzt mit fünfundzwanzig Angestellten. In den besten Zeiten waren es vierzig, wohlgemerkt: in einem Metzgerbetrieb, nicht in einer Kette. Weil er keinen Nachfolger fand, gab Götz den Laden und die dazugehörende Produktion ab. Seine drei Söhne wollten alle etwas anderes machen, studieren, weggehen von hier. Wer mit ihm spricht, sieht einen Handwerker alten Schlages am Ende seines Berufslebens vorsich, der noch voller Elan ist. Und voller Geschichten. „Vor dem Krieg haben der alte Schlecker und mein Vater oft zusammen geschlachtet. Jeder bekam ein halbes Rind pro Woche, mehr wurde nicht verkauft.“ Man aß nicht jeden Tag Fleisch. Der sprichwörtliche Sonntagsbraten – er war ein Ereignis.
Am Viehmarkt
    Wir beginnen unseren Spaziergang am Ehinger Viehmarkt, ein historischer Ort in der Ehinger Altstadt, der heute als Parkplatz genutzt wird. In den siebziger Jahren, erinnert sich Götz, war hier tatsächlich noch „Viehmarkt“. Dienstags früh um sieben seien die Bauern mit ihren Schweinen gekommen. Es sei ein Spektakel gewesen, auch für den ältesten Sohn, der an der Hand der Großmutter dem Treiben zugesehen habe, sagt Götz.
    Ende der fünfziger Jahre, als er selbst ein Kind war, gab es kaum Kühlschränke. Die Leute kamen täglich in die Metzgerei und holten sich das Fleisch ganz frisch. Er erinnere sich, wie seine Mutter an jedem Sonntag im Geschäft stand, um die Sonntagskundschaft zu bedienen.
    Während er dies sagt, muss ich an die Winter zu Beginn der achtziger Jahre denken, in denen wir zum Schlachten in ein kleines Dorf namens Wintzingerode im Eichsfeld fuhren, in jenes Dorf, in dem meine Mutter aufgewachsen war, nachdem meine Großeltern vor den Bomben in Berlin geflüchtet waren. Die Tiere waren dann fett, man hatte Fleisch für die Festtage. Vor allem aber hielt sich Fleisch länger in der Kälte.
    Diese Erlebnisse waren faszinierend und verstörend zugleich für ein Stadtkind wie mich. Sie prägten ein ambivalentes Gefühl gegenüber dem Landleben. Das konnte sehr archaisch sein: die Gerüche; die Laute des sich wehrenden Schweins; der dumpfe Schlag des Bolzenschussgeräts; die Farbe des Bluts auf dem schneebedeckten Steinboden; das Dampfen des aufgebrochenen Körpers;auch das Gespräch über eine Schlachtung im Nachbardorf, bei der man mit dem Bolzen

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