Das gruene Gewissen
große Ganze geht.
Allen Gegnern der grünen Gentechnik ist bewusst, dass es seit langer Zeit Pflanzenzüchtung gibt, die das Ziel hat, bestimmte Eigenschaften stärker und andere schwächer auszuprägen oder neue zu kreieren. Die Qualität bei den neuen Züchtungsverfahren scheint jedoch eine andere zu sein, weil hier artenübergreifend Gene genutzt werden. Befürchtungen bestehen, dass damit die Büchse der Pandora geöffnet wird. Überdies ist dem Verbraucher nicht einsichtig, welchen Vorteil er durch diese neuen Züchtungsverfahren haben soll. Das ist bei der roten, also pharmazeutischen Gentechnik durchaus anders. Aber auch bei der Produktion von Waschenzymen und anderem sind derlei Vorbehalte längst überwunden; ich komme gleich noch einmal darauf zurück.
Was für den Großteil der Bevölkerung in Deutschland und Europa ein Bedrohungsszenario darstellt, dessen historische Ursachen auch in der Eugenik und anderen Entwicklungen liegen dürften und das bis zur negativen Haltung im Bereich der Stammzellforschung und Humangenetik ausstrahlt, sollte in den Augen mancher Wissenschaftler eher ein Grund zur Zuversicht sein. In einem Interview mit der Wochenzeitung Die ZEIT sagte einer der führenden deutschen Agrarökonomen, der Bonner Wissenschaftler Joachim von Braun, dass unter den Bedingungen einer globalen Landwirtschaft für immer mehr Menschen langfristig kein Weg an der Gentechnik vorbeiginge.
Bevor er nach Bonn kam, leitete von Braun das renommierte International Food Policy Research Institute (Ifpri) in Washington, das zum weltweiten Forschungs- und Entwicklungsnetzwerk CGIAR gehört, dem Who is Who der Agrarforschung. Er und andere führen ein Argument an, das die deutschen Ambitionen zur Lösung globaler Probleme im konkreten Fall auf Herz und Nieren prüft: die weltweit stark zunehmende Verknappung von Land und Wasser, die eine Erhöhung der Produktivität erfordere. Gerade um die zunehmende Nachfrage nach Qualität und weniger Chemieeinsatz auf dem Acker zu befriedigen, müsse man sich dieser Herausforderung auch mit Gentechnik stellen. Hinzu käme der Mangel an Vitaminen oder Eisen in den Grundnahrungsmitteln für die Ärmsten der Armen. 94 Experten sprechen hierbei von „Food fortification“, also der gezielten Anreicherung von Nahrungsmitteln mit Vitamin A und Mineralstoffen. Deren „natürliche“ Konzentration etwa in Maisbrei, dem Hauptnahrungsmittel, ist einfach zu gering.
Pflanzen robuster gegen Schädlinge, aber auch gegen die lokalen Auswirkungen der Klimadynamik wie Trockenheit und Hitze zu machen: Diese Idee ist nicht neu, und sie wird heute jenseits der Gentechnik etwa in Afrika vorangetrieben. Zum Beispiel wird der Striga-Befall von Mais- und Getreidepflanzen, der zu großen Ernteausfällen führt, einzudämmen versucht. Dabei wird das Saatgut durch ein „Coating“ mit einer Schutzschicht überzogen, die es vor dem Unkraut schützen soll. Gerade im Zusammenhang mit der grünen Gentechnik greifen neben den machtpolitischen Argumenten – dass Kleinbauern in Abhängigkeit von den Saatgut-Giganten gehalten werden – aber schöpfungsbezogene Argumente. Die Frage nach der Natürlichkeit der Natur und dem Recht zu ihrer Veränderung stellt sich hier fundamental.
Auch jenseits der Agrarökonomie findet das Argument, im Zeichen der Ertragssteigerung solle an der Veredlung von Pflanzen geforscht werden, prominente Fürsprecher, etwa die Direktorin des Tübinger Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie und Medizin-Nobelpreisträgerin von 1995, Christiane Nüsslein-Vollhardt. Dabei geht es ihr nicht nur um eine prinzipielle Freiheit der Forschung, die sie durch Denkverbote und eine zunehmende Politisierung der Wissenschaft bedroht sieht. In Vorträgen und Veröffentlichungen weist sie darauf hin, dass neben dem Boden vor allem die Pflanzen zu Schlüsselfaktoren für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts werden müssen, wenn man sie in ihren Eigenschaften an die gestiegenen Bedarfe sowie die klimatischen Bedingungen anpassen will.
Wer die Chemie in Form von Pflanzenschutzmitteln vermeiden wolle, ohne auf die gewohnt hohen Erträge zu verzichten – so ihr zunächst irritierendes Argument –, komme an der genetischen Veränderung etwa der Schädlings- und Trockenheitsresistenz nicht vorbei. So sagte sie im April 2011 auf einer Veranstaltung in der Berliner Akademie der Künste, dass ihr im Zusammenhang mit der grünen Gentechnik ausgerechnet der „Naturschutz“ am meisten am
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