Das gruene Gewissen
nationale Therapie, die äußerer Anlässe bedarf, seien es Kriege und Krisen oder eben Schicksalsschläge durch die Natur.
Dahinter steckt der im amerikanischen Bewusstsein durch unzählige Katastrophen und deren filmische Aufnahme genährte Gedanke einer schicksalhaften Natur: Der Mensch, so könnte man den Subtext zu einem „wehrhaften“ Naturverständnis interpretieren, ist den Mächten der Natur trotz allen technischen Fortschritts im Grunde noch immer ausgeliefert – so wie das Volk mit Tyrannen und Gegnern der Freiheit zu kämpfen hat, aber auch mit der eigenen Maßlosigkeit und Gier, die in Hollywoodfilmen wie der Batman -Trilogie zum Epos werden. Dabei ist es kein Zufall, dass das Unheil im wörtlichen Sinne „von oben“ kommt, in Gestaltvon dunklen Wolken, heraufziehenden Stürmen und schließlich Unwettern mit eiergroßen Hagelkörnern.
Diese Wahrnehmung der Natur ist denn auch eine Metapher für die Ängste der Gesellschaft. So wird verständlich, dass es Verquickungen mit dem Niedergang der Mittelschicht gibt und Rezessionen und Unwetter als „doppelte“ Schicksalsschläge gedeutet werden, mit denen die Menschen fertig werden müssen. Am Ende, so verspricht es jede Rede der Verantwortlichen, werde man gestärkt und siegreich daraus hervorgehen. Als Nation.
Von der Endzeitstimmung, die fiktional immer auch als ein Überlebenskampf der Gesellschaft dargestellt wird, ist es nur ein kurzer Weg zu religiöser Demut. Diese übt man gerade in kollektiven Schicksalsstunden. Denn manch einem religiösen Fundamentalisten mag die Wucht, mit der Kleinstädte heimgesucht werden, durchaus als Strafe und biblisches Fanal erscheinen: für den eigenen, entarteten Lebensstil. Naturmythologie und Religiosität liegen anders als bei uns sehr nahe beieinander.
Dahinter steckt weitaus mehr als eine Geste der Humanität, die man auch bei anderen Anlässen – etwa menschengemachten Unfällen – vermuten darf. Der Plan, sich die Natur untertan zu machen und dafür erhebliche menschliche Opfer zu bringen, spielt im amerikanischen Bewusstsein auch Jahrhunderte nach der Entdeckung durch Kolumbus und der anschließenden Landnahme eine zentrale Rolle. The Conquest of Nature lautet das hier eingangs erwähnte Buch des Historikers David Blackbourn im Original, und es ist gleichermaßen bezeichnend, dass ein Amerikaner ein solches Buch schrieb und dass es in Deutschland kaum mehr als das Interesse einiger Feuilletonisten erregte.
Sich die Natur untertan zu machen: Dieser anders als bei uns wörtlich zu nehmende Auftrag rührte in den USA seit dem vergangenen Jahrhundert immer auch von einem Übermaß an vorhandenen Ressourcen her. Während die Vereinigten Staaten vor einhundert Jahren nur über jeweils rund sechs Prozent der Weltbevölkerung und der Erdoberfläche verfügten, waren sie für einViertel der weltweiten Erzeugung zentraler mineralischer und landwirtschaftlicher Güter verantwortlich. Gut vierzig Prozent der Bodenschätze wurden hier gefördert – ein Drittel aller damals bekannten Steinkohlenvorräte und wesentliche Anteile der weltweiten Eisenerz- und Erdölvorräte. Sie bildeten die Basis des wirtschaftlichen Erfolgs. Denn die Menschen, die bereits in früheren Zeiten nach Amerika auswanderten, taten dies nicht, um dort eine „Scholle“ zu finden, sie besonders nachhaltig zu bewirtschaften und sie dann an die nächste Generation weiterzugeben, sondern um Wohlstand zu erlangen. Vor allem aber definierten sie Freiheit als eine Freiheit von Staat und Regulierung, nicht zuletzt von den Steuern der britischen Krone. Daran hat sich wenig geändert.
Das Unterwerfen bedeutete im Gegenzug, Rückschläge in Kauf zu nehmen, Katastrophen kollektiv wegzustecken und weiterzumachen. Die Aussichten, dass sich das Blatt wieder wendet, waren verheißungsvoll. Die Technik, die immer eine neuere, bessere Technik und Ausdruck der nationalen Stärke war, würde es am Ende gepaart mit einem unbändigen Willen zum Erfolg richten.
Warum die Natur ohne uns keine bessere ist
Wer die Debatten um den Klima- und Artenschutz verfolgt, bekommt das Bild vermittelt, dass die Natur und ihre vom Menschen als solche definierten und geschützten Systeme vollkommen störungsfrei funktionierten, solange sich der Mensch von ihnen fernhielt. Die Natur ist in dieser Projektion ein autonomes Selbst, das erst dann Schaden nimmt, sobald wir eingreifen. Die Zerstörung der Natur als radikalste Maßnahme ist damit Ausdruck einer anthropozentrischen
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