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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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innen ein schwarzes aus Baumwolle, darüber ein graues aus Wolle –, ein drittes um die Hüfte geschlungen, ein viertes um die Schultern.
    »Guten Tag, Großmutter«, sagte Kostja und lächelte, um die absurde Situation zu überspielen. Seine Schwiegermutter stand hinter ihm und verstärkte die Absurdidät noch.
    »Großmutter, das ist unser junger Hausherr, Konstantin Wladimirowitsch.«
    »Oh, mein Kind, mein lieber Enkel, du siehst ihm nicht ähnlich, gar nicht ähnlich siehst du deinem Großvater«, mümmelte die Alte und weinte so ergriffen, als sähe er diesem unbekannten Großvater eben doch ähnlich.
    Aber Kostja wollte keine voreiligen Fragen stellen – mochte die Komödie allein ihren Lauf nehmen. Dass es eine Komödie war, stand für ihn fest. Die Alte, rosig, mit blauen Augen wie Türkisperlen, wiegte wie eine chinesische Buddhafigur den in Tücher gehüllten Kopf, in alle Richtungen zugleich – von links nach rechts und von vorn nach hinten. Dabei klatschte sie in die roten Hände.
    »Ei, Kostja, Konstantin, das ist nun das letzte Zweiglein, der letzte Trieb vom Baum, unbekannt und unerforscht …«
    Kostja ging auf den folkloristischen Ton ein und fragte:
    »Und bei welchem Namen soll ich Sie nennen, Großmutter?«
    »Nenn mich Matuschka Pascha, Paraskewa heiß ich. So hat mich auch dein Großvater genannt.«
    »Und nach dem Vater wie?«, fragte Kostja weiter, dem das Ganze bereits ein wenig peinlich war, weil er nicht verstand, was seine Großväter, Mutters Vater, der verstorbene General Afanassi Michailowitsch, und sein im Krieg gefallener Großvater väterlicherseits Viktor Grigorjewitsch mit dieser komischen Alten zu tun haben sollten.
    »Aber mich hat nie jemand beim Vatersnamen genannt – immer nur Pascha.«
    »Von welchem Großvater reden Sie eigentlich?«, wollte Kostja nun wissen.
    »Ach, ich dummes altes Weib, ich rede nicht von deinem Großvater, sondern von deinem Urgroßvater, Naum Ignatjewitsch, das war sein weltlicher Name, doch für uns war er Wladyka 19) Nikodim.« Sie schaute sich im Zimmer nach einem geeigneten Gegenstand um, fand keinen und bekreuzigte sich gegen das Fenster. »Er ist nun unser Beschützer im Himmel, das ist gewiss!«
    19) Anrede für einen orthodoxen Bischof. Anm. d. Ü.
    Vor langer Zeit, nach Großmutters Tod, hatte deren jüngere Schwester Valentina sie besucht und uralte Familienfotos mitgebracht. Kostjas Stiefvater Ilja hatte das am besten erhaltene damals abfotografiert und vergrößert, und dieses Bild hatte Olga so gefallen, dass sie es im Schlafzimmer aufhängte. Dort hing es noch immer.
    »Kommen Sie mit.« Er nickte der Alten zu. »Ich will Ihnen etwas zeigen.«
    Er führte sie ins Schlafzimmer, wo Lena mit ihrer abklingenden Nierenbeckenentzündung schlief. »Aber leise.«
    Vorsichtig, damit sie nicht quietschte, zog er die Tür ein Stück auf und zeigte auf die Wand, auf das Foto.
    Die Alte warf einen Blick darauf und sank in die Knie.
    »Batjuschka, unser Batjuschka, und so jung noch! Und so schön! Und so gut beieinander ist er da, und mit Frau und Kindern! Ach, wenn ich daran denke, wie vieles er erdulden musste, stockt mir der Atem. Alles, alles hat er ertragen, hat sich gerettet und betet nun für uns, für unsere Erlösung …«
    Ihr geflüsterter Singsang weckte in Kostja Unbehagen, weil er nicht mit ihr fühlen konnte – er kannte nur Bruchstücke der Geschichte, vieles war in der Familie verschwiegen worden. Ja, seine Großmutter hatte sich von ihrem Vater, dem Priester, losgesagt, und er war im Lager umgekommen – so war es wohl gewesen. Das hatte seine Mutter mal erzählt, aber Genaueres wussten sie nicht.
    Indessen fasste die Alte nach Kostjas Hand und bedeckte sie mit Küssen.
    Lena erwachte und richtete sich im Bett auf. Im Kinderzimmer fingen Verka und Mischka an zu jammern.
    Quatsch, Blödsinn, purer Unfug, dachte Kostja verärgert und zerrte seine kräftige Pranke aus den fest zupackenden roten Händen.
    Die Alte warf sich erneut auf die Knie, diesmal vor Kostja.
    »Mein Junge, bitte hilf uns, du bist unsere letzte Hoffnung. Von uns nehmen sie keine Bittschriften an, sie sagen, nur von Verwandten. Aber wir müssen ihn doch umbetten, das Haus gehört ja mir, aber wenn es nun abgerissen wird, und das Grab ist doch unterm Haus, direkt unterm Altar. Und sie wollen es abreißen, seit Jahren schon. Die vom Patriarchat sagen: nichts da, er ist ein Katakombnik, reden von der Lebendigen Kirche. Und dass er für sie gar kein Bischof ist,

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