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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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das weißt du ja …
    Unsere Gemeinde war eine besondere, wir erkannten den Patriarchen nicht an, aber nach dem Krieg hat Batjuschka gesagt, wir sollten in die allgemeine Kirche gehen, denn eine andere würde es nun nicht mehr geben. Aber seine Schäfchen hat er weiter betreut, hat niemanden weggeschickt. Und Gottesdienste hat er bis zu seinem Tod abgehalten. Wer gar nicht ohne ihn konnte, der ist weiter zu ihm gegangen. Auch jetzt gibt es noch einige Menschen, die ihn verehren. Darum sage ich ›die Unseren‹.«
    Pascha übernachtete auf einem Klappbett, reiste am frühen Morgen ab und hinterließ diesen Geruch nach Schaffell und Wolle, den Kostja eher angenehm fand.
    Er arbeitete das letzte Jahr an seiner Doktorarbeit, die etwas Größeres zu werden schien. Sein Betreuer rümpfte die Nase und bremste Kostjas Absicht, seine Dissertation so schnell wie möglich zu Ende zu bringen.
    »Mach weiter mit der Synthese, mach weiter! Hör nicht einfach auf! Vielleicht hast du nie wieder im Leben so viel Glück! Ob du dieses Jahr verteidigst oder nächstes Jahr, das spielt doch keine Rolle, eine Stelle habe ich für dich schon in petto! Mach weiter!«, sagte sein Chef, und Kostja arbeitete weiter an seinen Versuchsreihen, und die Ergebnisse waren überraschend und vielversprechend. Und vor allem – sie waren exakt reproduzierbar.
    Nebenbei zog Kostja Erkundigungen ein und erfuhr, dass er wegen des Urgroßvaters nicht zum KGB musste, sondern zur Staatsanwaltschaft. Leute, die sich auskannten, sagten, es sei vermutlich schon zu spät: Die »Rehabilitance« sei Ende der sechziger Jahre zu Ende gegangen, und Priester galten ohnehin nicht als Opfer politischer Repressalien. Erst im Frühjahr schaffte es Kostja, einen Antrag auf Rehabilitation zu stellen. Der sympathische rundliche Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft war freundlich, stellte sich als Arkadi Iwanowitsch vor und versprach, in den Archiven nachzuforschen und dann anzurufen. Der Anruf erfolgte zwei Wochen später.
    Kostja erschien zur verabredeten Zeit. Er wurde überaus liebenswürdig empfangen. Auf dem Tisch lag ein dünner Ordner.
    »Konstantin Wladimirowitsch! Durch meine Hände sind über zweitausend Akten gegangen, und ich habe so einiges gesehen. Aber Ihr Urgroßvater ist ein wirklich erstaunlicher Fall: Er ist 1945 aus dem Lager geflohen, und seitdem wird offiziell nach ihm gefahndet. Das ist ein besonderer juristischer Kasus, so etwas ist mir in meiner Praxis noch nicht untergekommen. Ich werde Experten konsultieren, aber ich denke, die Flucht und der Umstand, dass der Priester Naum Ignatjewitsch Dershawin nie gefunden wurde, das ist ein großes Hindernis für eine Rehabilitierung. Ganz zu schweigen davon, dass wir uns mit dieser Personengruppe bislang nicht befasst haben. Der Fall interessiert mich selber sehr, und ich werde versuchen, über meine Kanäle etwas in Erfahrung zu bringen. Aber die Hoffnung ist gering.«
    Kostja nickte zum Zeichen absoluten Verständnisses und war froh, dass er nicht erzählt hatte, was er wusste: Wo sein Großvater sich zwanzig Jahre lang verborgen hatte, bis zu seinem Tod. Er wusste es, hatte es aber nicht gesagt!
    Als er nach Hause kam, erwartete ihn ein Brief von Pascha. Wie aufs Stichwort – am selben Tag! Sie bat ihn dringend zu kommen, denn der Abriss des Hauses rücke näher, und sie wisse nicht, was mit dem Grab geschehen solle …
    Eine Woche verging, eine zweite, und Kostja kam nicht weg, denn er hatte furchtbar viel zu tun, unter anderem mit dem Umzug zur Schwiegermutter nach Opalicha für den Sommer. Lena war nervös, wie immer, wenn sie packen und wegfahren musste – sie hatte eine unerklärliche Angst vor Reisen.
    Erst Anfang Juni, nachdem Kostja die Familie in ihr Sommerquartier gebracht hatte, machte er sich auf den Weg zu Pascha. Er fuhr bis Sagorsk, bestaunte die Kuppeln des Sergiejew-Possad-Klosters und suchte die angegebene Adresse jenseits der Eisenbahnlinie.
    Es war ein Dorf, das längst von der Stadt geschluckt worden war. Auf einer Straßenseite wuchsen aus Baugruben künftige Fünfgeschosser, die vorerst noch keine zwei Etagen hoch waren. Auf der Seite mit den ungeraden Nummern arbeitete ein Bagger. Die Häuser waren so baufällig, dass ein einziger Schlag mit der Baggerschaufel sie zum Einsturz brachte. Noch unbeschädigt wartete das Haus Nr. 19, bis es an der Reihe war. An Nr. 17 waren der Baggerfahrer und sein Kollege am Werk. Ein Laster mit Bauschutt war gerade abgefahren. Das Haus mit der Nummer

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