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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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»Ich ehrlich gesagt auch nicht. Schon gar nicht in einem fremden Haus.«
    »Verstehe.« Der Hausherr nickte und ging in die Diele. Ganz selbstverständlich.
    »Prima, Olga. Gut gemacht!«, flüsterte Ilja, und Olga war glücklich, stolz auf dieses Lob und hatte das Gefühl, perfekt zu sein.
    König Artur brachte einen schwarzen Topf, darauf lagen anstelle eines Deckels drei tiefe Teller und zuoberst, wie eine kleine Pyramide, eine große Salzgurke, dick geschnittenes Brot und daneben standen drei Schnapsgläser. Gabeln ragten aus seiner Jackentasche. Er bewegte sich mit der Präzision eines Sportlers oder Tänzers – kleine Gegenstände klebten an seinen Händen wie an Magneten. Nichts fiel herunter, alles wurde gerade und exakt hingestellt. Er kramte in seiner Tasche und fischte aus deren Tiefen eine Zwiebel und ein großes Klappmesser. Er schnitt den unteren Teil der Zwiebel ab und teilte sie samt Schale in Viertel, und sie öffnete sich auf dem Holzbrett wie die Blüte einer weißen Wasserlilie. Er stellte jedem einen Teller hin – im Topf lagen noch warme Pellkartoffeln. Ohne hinzusehen griff er mit seinem langen Arm hinter sich und stellte ein schwanenförmiges silbernes Salzfässchen auf den Tisch. Alles fühlte sich richtig und gut an. Glück durchströmte Olga und quoll in ihr auf wie Hefeteig.
    »Na, mach schon auf«, sagte Artur freundlich zu Ilja, und der riss den Blechverschluss von der grünlichen Flasche.
    Ach, darum heißt es grüner Wein, dachte Olga und freute sich. Die Flaschen waren grün!
    Sie hielt die Hand über ihr Glas.
    »Nein, danke. Ich möchte keinen Wodka.«
    »Kognak?«, fragte der Hausherr.
    »Nein, danke. So früh am Tag mag ich nicht.«
    Er nickte. Er schnitt die Gurke in dünne Streifen, pellte eine Kartoffel ab und schnitt sie auf. Er und Ilja tranken. Artur aß mit den Händen, streute eine Prise Salz auf die Kartoffel, doch das alles wirkte bei ihm elegant, ja aristokratisch.
    »Was macht die Füchsin?«, fragte Ilja. Olga wusste bereits, das hatte Ilja ihr unterwegs erzählt, dass Artur eine Frau hatte, eine Schönheit, und dass sie ihn vor kurzem verlassen hatte.
    »Was soll sie machen? Sie war dieser Tage hier.«
    »Will sie zurück?«, fragte Ilja neugierig.
    »Nein, Ilja, zurück kommt sie nicht. Aber weggehen kann sie auch nicht. Die Scheidung ist durch, sie will heiraten, aber weggehen – das schafft sie nicht. Wir werden sehen. Fünfzehn Jahre waren wir zusammen. Sie will ins Ausland. Sie sagt, sie hat einen Finnen gefunden.«
    »Ach was?«, staunte Ilja. »Ich denke, sie hatte einen aus dem Irak?«
    »Hatte sie auch. Einen Reichen. Dem hat sie den Laufpass gegeben. Sie sagt, eine europäische Frau kann nicht im Nahen Osten leben. Und der Finne ist aus Lappland. Die Füchsin ist an Kälte gewöhnt, sie stammt ja aus dem Fernen Osten. Eigentlich wollte sie nach Italien, aber ein Italiener ist ihr nicht untergekommen.«
    Olga fielen bei diesem Gespräch fast die Augen aus dem Kopf. Was war das für eine Frau, dass sie sich unter Ausländern umsah? Wie eine Prostituierte? Danach musste sie Ilja später fragen.
    Dann tranken sie Tee – bei der Zubereitung ließ Artur sich Zeit; er machte ein Riesentheater um die Teekanne. Die war allerdings etwas Besonderes, emailliertes Metall, bemalt mit Drachen und blauen Flammenzungen.
    »Chinesisch.« Artur streichelte zärtlich die runde Flanke. Ebenso zärtlich sah er die Kanne an, als wäre sie ein schönes Mädchen. »Hab ich in Singapur gekauft. Eine Schönheit!«
    Ach ja, Ilja hatte erzählt, dass Artur bei der Handelsmarine gedient und alle Weltmeere befahren hatte. Olga gewöhnte sich langsam an den eigenartigen Kerl, und er gefiel ihr immer besser. Obwohl ihr seine Haarlosigkeit bei genauerer Betrachtung merkwürdig vorkam – als wären weder auf seinem Kopf noch auf seiner kindlichen Gesichtshaut je Haare gewachsen. Und noch eines: Seine Hände zitterten, ganz leicht, man sah es nicht gleich.
    Dann trug der König die Teller raus, die er wie zuvor auf den Topf getürmt hatte, wischte den Tisch ab, und Ilja legte einen großen Stapel dünnen maschinebeschriebenen Papiers darauf. Und mehrere zerfledderte alte Bücher. Papier raschelte.
    »Ich hab kein passendes Material zum Binden da, nur Batist«, sagte Artur.
    »Hauptsache, nicht geblümt«, bat Ilja.
    Der König nickte. »Ich nehme blauen.«
    Dann wurde sein Gesicht noch bedeutungsvoller als ohnehin, und er brachte aus dem Nebenzimmer ein altes Buch in dunklem

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