Das gruene Zelt
Komsomolleitung der philologischen Fakultät zu sitzen.
Ilja brachte Olga Vivekananda und Berdjajew und Orwell, der sie vollkommen erschütterte. Freie Zeit hatte Olga nun endlos – sie war ja von der Uni geflogen. Tagelang lag sie in ihrem Zimmer, während Faina Kostja fütterte, mit ihm spazieren ging und ihn zum Mittagsschlaf legte, und gegen Abend, wenn ihre Mutter nach Hause kam, ging Olga zum Rendezvous. Sie hatten mehrere Lieblingsplätze: vorm Denkmal für den ersten russischen Buchdrucker Iwan Fjodorow, an der Stadtmauer von Kitai-Gorod, in einem Antiquariat, in der alten Apotheke auf dem Puschkinplatz. Als es Sommer wurde, trafen sie sich im Apothekergarten, einem kleinen botanischen Garten, den noch Peter I. angelegt hatte.
Ein halbes Jahr verging, bis Ilja Olga erneut nach Tarassowka einlud, diesmal zu Arturs Hochzeit. Olga staunte: Wer will denn diesen komischen Kauz heiraten?
Nun war Ilja seinerseits erstaunt.
»Du hast ja keine Ahnung, Olga! Bevor er die Füchsin geheiratet hat, standen die Weiber bei ihm Schlange, sie waren ganz wild darauf, ihm die Unterhosen zu waschen. Eine berühmte Schauspielerin ist zweimal im Monat von Moskau zu ihm nach Wladiwostok geflogen, um mit ihm zu vögeln. Sie kommt an, und er: Entschuldige, ich hab keinen Ausgang. Und ab zur Büfettfrau. Aber als die Füchsin auftauchte, war damit Schluss. Da wurde er ein treuer Ehemann. Hat keine anderen Weiber angeschaut. Und dann fing die Füchsin an rumzuvögeln.« Ilja lachte.
Olga war immer hingerissen, wie freimütig und einfach er über solche Dinge sprach, die sie früher nicht einmal benennen konnte. Sie konnte nicht einmal laut »Scheiße« sagen, das Wort blieb ihr im Hals stecken, aus Iljas Mund aber klangen selbst obszöne Schimpfwörter natürlich und witzig.
»Und wen heiratet er jetzt?«, fragte Olga neugierig.
»Das ist eine amüsante Geschichte, die passt zu ihm. Er heiratet die ältere Schwester der Füchsin. Das hat sie eingefädelt. Du wirst ja sehen.«
Die Hochzeit des Königs fiel auf Mitte Juni. Der Sommer war noch frisch, der erste Sonnentag nach monatelangem Regen. Am Tag zuvor war Iljas Mutter zu ihrer Schwester nach Kirshatsch gefahren. Olga war am Abend zu Ilja gekommen, und sie erlebten ihre erste lange, ganz ihnen gehörende Nacht, ohne Hast, ohne Störungen und ohne jene Unbehaglichkeit, die Olga immer in den fremden Betten empfand, in die Ilja sie hin und wieder zog. Am Morgen waren sie beide still, wie ausgelaugt, und diese wunderbare Leere versetzte ihre Körper und Seelen in einen nahezu schwerelosen Zustand. Beide durchlebten die Einzigartigkeit des Ereignisses: Durch diese äußerste körperliche Erfüllung, durch die totale sexuelle Verausgabung hatten sie eine Grenze durchbrochen – es war wie eine Offenbarung an einer Stelle, wo man sie nicht erwartet. Mit dem höchsten sexuellen Genuss hatten sie eine andere, nicht in Worte zu fassende Seligkeit erfahren: die Auflösung des eigenen »Ich« und die unglaubliche, nie gekannte Freiheit, zu schweben und zu fliegen.
»Es ist so schön, dass es schon Angst macht«, flüsterte Olga, als sie im Vorortzug saßen.
»Aber nein, das macht keine Angst. Wir haben den siebten Himmel gesehen. Ich habe das Gefühl, als müsste ich zum Dank irgendetwas tun.«
»Was denn?«, fragte Olga erstaunt. »Was könntest du denn tun?«
»Na, ich weiß nicht. Vielleicht heiraten? Dann würde ich dich ehrlich ficken.« Er lachte, als hätte er einen unheimlich komischen Witz gemacht.
Das obszöne Wort traf Olga wie siedendes Wasser, aber ihr Körper reagierte erstaunlicherweise mit unverzüglicher Zustimmung. Ihre Wangen röteten sich – ich bin völlig verrückt geworden, so geht das doch nicht –, und sie sagte linkisch:
»Nein. Ich finde, nach all dem sollten wir ein Kind kriegen.«
Ilja hörte auf zu lachen. Er hatte eine schlimme Vaterschaftserfahrung, und die wollte er nicht wiederholen.
»Nein, das geht zu weit. Niemals und um keinen Preis. Merk dir das.«
Etwas in ihr stürzte ein und fiel ins Bodenlose – was für eine Achterbahnfahrt! Was war das? Grausamkeit? Stumpfheit? Wie konnte er das sagen? Aber er war weder grausam noch stumpf, er begriff sofort, dass er sie gekränkt hatte, griff nach ihrer Hand und drückte sie ganz fest.
»Du verstehst nicht. Ich zeuge Krüppel. Ich bin selber ein Krüppel. Von mir darf man keine Kinder kriegen.«
Olga krallte sich in seinen Arm – die Kränkung schlug augenblicklich in heftiges Mitgefühl um;
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