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Das Gutachten

Das Gutachten

Titel: Das Gutachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sina Cartier
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gut, einfach mal ein paar Schritte am Stück zu gehen. Und
wenn sich das Ganze als Missverständnis herausstellen sollte, so war sie
wenigstens in den Genuss eines kleinen Spaziergangs gekommen.
    Im Besucherraum saß
tatsächlich eine gut gekleidete Dame mit einer großen Aktentasche und einem
Stapel Papieren in der Hand. Sie war noch relativ jung, vielleicht Anfang
dreißig, trug einen blonden Kurzhaarschnitt und eine modische Brille.
    Als Sandra und ihr
Begleiter den Raum betraten, stand die Frau sofort auf und streckte ihr die
rechte Hand entgegen: »Guten Tag, Frau Kaminski, ich bin Christina Berger und
arbeite in der Kanzlei von Herrn Wohlers, ihrem Anwalt.«
    Zu spät bemerkte sie, dass
Sandra Handschellen trug und sie zog ihren Arm unbeholfen wieder zurück.
    »Ok. Aber warum sind sie
hier? Herr Wohlers wollte in ein paar Tagen wiederkommen?« Sandra war verwirrt
und auch etwas genervt von der übertriebenen Professionalität dieser Frau. Sie
war ihr schlichtweg unsympathisch.
    Christina Berger lächelte
mild: »Ich habe mir ihre Akten angeschaut und ihre Aussage genau gelesen. Und
da ich schon etliche Fälle zum Thema Frauenrecht erfolgreich verhandelt habe,
habe ich Herrn Wohlers gebeten, an ihrem Fall mitarbeiten zu dürfen.«
    »Frauenrecht? Ich bin
wegen Erpressung angeklagt, also sozusagen. Ich weiß gar nicht, bin ich schon
angeklagt?«
    »Wir befinden uns gerade
am Anfang des Verfahrens und genau deshalb ist es wichtig, dass ich jetzt
einsteige, um noch eventuelle Weichen stellen zu können.
    Sehen sie, aus ihren Akten
geht eindeutig hervor, dass sie seit Jahren in einer, nennen wir es mal, nicht
ganz ungefährlichen Beziehung mit Christoph Wagner stehen.«
    Sandra entgegnete nichts,
sondern schaute die Anwältin missgelaunt an.
    »Ich glaube, dass diese
Beziehung einen sehr schlechten Eindruck auf ihre gesamte Entwicklung der
letzten Jahre gehabt hat. Chris Wagner gilt als der eigentliche Drahtzieher
dieser ganzen Geschichte, und wenn wir es schaffen, ihre Beziehung glaubhaft
dem Richter darzulegen, haben wir eine deutliche Chance auf Strafmilderung. Wie
hört sich das für sie an, Frau Kaminski?«
    »Ja, ... gut ..., Chris
kann mir eh gestohlen bleiben. Dieses miese Arschloch.«
    »Sehen sie! Und deshalb
übernehme ich ab heute ihre Verteidigung, natürlich in Absprache mit Herrn
Kollegen Wohlers und auch nur, wenn es ihnen recht ist.«
    Sie blickte erwartungsvoll
zu Sandra, die allerdings nur mit den Schultern zuckte.
    »Ok.«
    »Ich habe auch schon
vorsichtshalber einen Termin mit Dr. Renn hier im Haus gemacht. Er ist immer
sehr eingespannt, sagte mir aber zu, dass er sich ihrer annehmen wolle.«
    »Dr. Wer?« Sandra hatte
nicht richtig zugehört. Sie brachte allerdings Ärzten gegenüber eine
grundsätzliche Skepsis entgegen.
    »Dr. Renn ist Psychologe
und eine absolute Kapazität auf seinem Gebiet. Er kommt tageweise auch hier in
die Anstalt, um psychologische Gutachten zu erstellen. Er wird uns, er wird ihnen
helfen. Der Termin ist morgen Vormittag. Sie müssen nur noch auf diesen beiden
Formularen unterschreiben.«
    Sie schob Sandra zwei
Dokumente hin. Das eine war die Erklärung, dass Frau Berger ab sofort die
anwaltliche Vertretung für sie war, das andere war eine Einverständniserklärung
für das Einholen eines psychologischen Gutachtens durch Herrn Dr. Andreas Renn.
    Zu dem Zeitpunkt ahnte
Sandra nicht, wie sehr diese Unterschrift ihr gesamtes Leben ändern sollte.

Kapitel 24
     
    Das Zimmer des Psychologen
lag in einem anderen Gebäudetrakt. Sandra wurde durch ellenlange Korridore
geführt, einer trostloser als der andere. Grau, kalt und anonym sah es hier aus
und das entsprach ziemlich genau ihrer Gefühlslage.
    Umso überraschter war
Sandra, als sie in einen Gang bogen, der hinter einer Sicherheitstür begann:
Hier standen Pflanzen im Flur und auf den Fensterbänken, es hingen Bilder an
den Wänden zwischen den Bürotüren, es gab bequeme Besuchersessel, einen
Wasserspender und alles war in einem freundlichen pastellgelb gestrichen. 
    Vor der Tür mit dem Schild
»Dr. Andreas Renn, Psychologische Betreuung« hielten sie an und der Beamte
klopfte.
    »Herein!« Die Stimme von
Dr. Renn war dunkel, kräftig und sie erinnerte Sandra an jemanden, doch sie
konnte nicht sagen an wen. Wahrscheinlich an irgendeine deutsche Synchronstimme
eines Hollywoodstars, dachte sie sich, während sie den Raum betrat.
    »Guten Tag, Dr. Renn«,
sagte der Beamte, »dies ist unser Neuzugang, Sandra Kaminski.

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