Das Habitat: Roman (German Edition)
meinem Trip nach Loughrea nie wieder so richtig losgelassen hatte, hatte sich nun erneut seinen Weg in mein Bewusstsein gebahnt, und hielt mich fest in seinem Bann.
Das Merkwürdigste an dem Bild aber waren die Bäume, welche die Szenerie zu beiden Seiten umsäumten: Schlanke hohe Stämme mit merkwürdigen langen und riesigen Blättern. Zweifellos Mutanten. Allein wegen dieses Bildes schon würde das Buch wohl sofort verbrannt werden. Ich versuchte, den verwaschenen Titel zu entziffern. Schließlich gelang es mir: Die Abenteuer des Robinson Crusoe. Ich blätterte ein Wenig darin herum. Im Gegensatz zu seinem Äußeren, hatte das Innere die vergangenen 150 Jahre seit dem Neubeginn recht gut überstanden. Zwar waren die Seiten muffig und vergilbt, doch die Lettern waren noch immer gut erkennbar. Ich verbarg es schließlich unter meinem Hemd.
Auch Malcolm hatte etwas entdeckt, das ihn sichtbar ebenso sehr faszinierte, wie mich der bärtige Fremde am Strand. Es war ein schwerer Band, der in einem Umschlag aus einem merkwürdig durchsichtigen Material steckte, das wahrscheinlich eine Art Plast aus der alten Zeit war: Grundlagen der Elektrotechnik. Unterstufe.
Ich konnte mir darunter überhaupt nichts vorstellen. Und, um ganz ehrlich zu sein, es hatte mich auch nicht im Geringsten interessiert. Ich konnte es kaum noch abwarten, mehr über diesen Robinson Crusoe zu erfahren. Doch ich musste sehr vorsichtig sein und durfte mich dabei auf keinen Fall erwischen lassen, soviel war mir klar. Der Ärger den ich mir da einhandeln würde, würde alles übersteigen, was ich mir bisher so eingebrockt hatte. Und das war nicht eben gerade wenig.
Noch am selben Abend, kaum war alles still im Haus, hatte ich das Buch unter meiner Matratze hervorgeholt, wo ich es fortan verborgen hielt.
Meine Hände hatten gezittert vor Aufregung – auch in der Gewissheit etwas Verbotenes zu tun. Die Welt, die sich mir hier im flackernden Kerzenschein eröffnete, war so reichhaltig, so neu und so andersartig, dass ich mehrmals unwillkürlich den Atem anhielt. Natürlich war mir klar, all diese fremden Länder, die der Verfasser da beschrieb, waren reine Produkte seiner Phantasie. Solche Länder gab es nicht – konnte es nicht geben –, doch der Detailreichtum und die präzisen Beschreibungen der Insel, auf der Robinson Crusoe schließlich strandete, waren derart lebensnah geschildert, dass man fast glauben mochte, diese Welt, die der Autor sich da erdacht hatte, könne tatsächlich irgendwo existieren.
Ich las bis zum Sonnenaufgang. Als erstes Leben sich im Haus bemerkbar machte, schlug ich schließlich die letzte Seite um. Die folgenden Tage verbrachte ich wie in Trance. Ich ging zur Schule, verrichtete meine Arbeit auf der Farm und saß mit am Esstisch – doch im Geiste war ich Welten entfernt, auf einer kleinen Insel, und erlebte Abenteuer mit Robinson Crusoe und Freitag. Ich saß auf der Schulbank und hielt Ausschau nach Schiffen am Horizont. Ich trieb das Vieh auf die Weide und kämpfte dabei gegen Kannibalen. Ich trug den Knechten das Mittagsbrot hinaus aufs Feld und erkundete aufgeregt eine fremde Insel, voller unbekannter Gefahren.
Irgendwann nahm mich mein Vater ins Gespräch. Natürlich war bereits aufgefallen, dass offenbar irgendetwas mit mir nicht stimmte. Von da an achtete ich sehr darauf, mich zusammenzunehmen.
Ich las das Buch während der folgenden Monate immer und immer wieder. Schließlich konnte ich es bereits auswendig. Doch trotzdem ergriff mich weiterhin jedes Mal dieses seltsame Gefühl großer Erregung, wenn ich es des Abends hervorholte. Bis... ja bis eines Nachmittags im Frühjahr. Ich kam von der Schule nach hause und merkte sofort, dass irgendetwas im Gange war. Eine eigenartige Spannung lag in der Luft. Und meine Vorahnung sollte sich auch sofort bestätigen. Ich betrat die Stube und erstarrte. Meine Eltern saßen am großen Gemeinschaftstisch und Robinson Crusoe lag vor ihnen. Das Gesicht meiner Mutter drückte große Sorge und tiefe Traurigkeit aus. Der Blick meines Vaters war verschlossen und starr. Ich wollte etwas sagen, doch meine Kehle war wie ausgetrocknet. Außer einem heiseren Krächzen brachte ich keinen Laut hervor.
„Woher hast du dieses Buch?“
Nie zuvor hatte ich solche Härte in der Stimme meines Vaters vernommen.
„Kannst du dir überhaupt vorstellen, in welche Gefahr du uns alle damit bringst?“, setzte meine Mutter an. Unter den eisigen Blicken meines Vaters aber verstummte sie.
„Ich
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