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Das Habitat: Roman (German Edition)

Das Habitat: Roman (German Edition)

Titel: Das Habitat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Luzius
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Mittagsbrot auf uns.
    „Nun, dieser Zirkus wird ja morgen wohl auch noch da sein.“, hatte mein Vater nur abwinkend gesagt. „Das Heu aber muss heute Abend noch eingefahren werden. Da brauchen wir jede Hand. Es wird also bis morgen warten müssen, Liam.“
    Wie alle Erwachsenen hielt er wenig vom Reisen an sich – und von denen die es taten noch viel weniger. Was ein wenig verwunderlich war, denn schließlich war gerade er der einzige im weiten Umkreis, der wenigstens einmal im Monat selbst unterwegs war.
    Und natürlich konnte es nicht warten. Ich hatte mein Essen hinuntergeschlungen und die erstbeste Gelegenheit ergriffen, mich davonzustehlen. Malcolm hatte im Schuppen auf mich gewartet. Meine Ersparnisse, die ich mir hauptsächlich als Milchjunge verdient hatte, hatte ich bereits aus meinem Versteck geholt.
    Die Luft war rein. Weder meine Eltern, noch einer der Knechte, waren zu sehen.
    Bald darauf waren wir über die obere Weide verschwunden.
    Es versetzte mir einen kleinen Stich, als ich daran dachte, dass ich nun nicht mehr im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses der Dorfjugend stehen würde. Doch dieser Gedanke verschwand schnell, angesichts des zu erwartenden Abenteuers. Ich hatte zwar schon von Zirkussen gehört, gesehen aber hatte ich nie einen. Und keiner von uns hätte wohl jemals geglaubt, dass sich einer einmal ausgerechnet in unsere abgelegene Gegend verirren würde.
    Schließlich erreichten wir das Schild am Ortsanfang.
    „Willkommen in Ballynakill“, stand da auf dem weiß angestrichenen Blech. Und darunter: „Bail na cille“. So hieß das Dorf in der alten Sprache. Doch die sprach heute niemand mehr. Weit im Westen, so habe ich mal gehört, soll es einen Landstrich geben, in dem die alte Sprache noch gesprochen wird. Doch das mochte auch nur geschwindelt sein, von einem der sich wichtig machen wollte. Ich sah jedenfalls keinen Sinn darin, eine andere Sprache zu sprechen. Wie wollten solche Leute sich dann mit einem verständigen.
    Ballynakill war eine lichte, freundliche Ortschaft, mit weitläufig verstreuten Häusern, breiten sauberen Straßen und ausgedehnten Grünflächen. Alte hohe Bäume säumten beide Seiten der Hauptstraße, die jedoch allesamt überragt wurden von dem weithin sichtbaren Kirchturm.
    Überall stieß man auf große reichlich bepflanzte Blumenkübel, und sogar einen kleinen Teich gab es in der Mitte des Dorfes. Bei all dem was ich später auch erfahren sollte, eines jedenfalls muss gesagt werden: Die Leute verstanden es zu leben; zumindest hier in Ballynakill und ähnlichen Landstrichen dieser Art.
    Wir hielten geradewegs auf das Brachfeld zu. Es wurde gemeinhin so bezeichnet, da es das ganze Jahr über brachlag und als Marktplatz, sowie als Festplatz, diente; etwa bei Hochzeiten oder anderen Feiern. Der Eigentümer erhielt von der Gemeinde dafür eine jährliche Pacht.
    Da sahen wir, wie eine schwarzgekleidete Gestalt direkt auf uns zusteuerte. Ich stöhnte auf.
    „Auch das noch! Der hat uns ja gerade noch gefehlt!“
    Malcolm antwortete nichts. Er schien meine Abneigung gegenüber dem Dorfpfarrer nicht zu teilen.
    Pater O’Malley kam offenbar gerade vom Brachfeld. Als er uns erblickte, hielt er geradewegs auf uns zu.
    „Ah, Liam O’Sullivan und Malcolm Boyd! Es sieht so aus, als würde sich allmählich die gesamte Jugend hier einfinden.“
    Er lächelte breit und sein Blick drückte Verständnis aus. Dennoch, ich konnte mir nicht helfen, immer wenn ich mit Pater O’Malley sprach, hatte ich irgendwie ein unangenehmes Gefühl. Sicher, er war stets freundlich und machte einen gütigen, zuweilen sogar naiven, Eindruck. Und trotzdem hatte ich bei ihm immer so ein Gefühl, als stecke ein messerscharfer Verstand hinter diesen kleinen, belustigt dreinschauenden Knopfaugen – hinter dem Drahtgestell seiner Brille, mit diesen runden Gläsern.
    Er wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Die Hitze des Nachmittags machte ihm sichtlich zu schaffen, und der schwarze Talar den er trug, tat sicher ein Übriges dazu.
    Er sah mich an.
    „War es mir nicht so, als hätte ich gehört, dass dein Vater heute das Heu einfahren wollte? Umso mehr freut es mich, dass er Verständnis für die Interessen der Jugend hat. Du kannst dich freuen, so einen Vater zu haben, Liam.“ Dabei zwinkerte er mir verschwörerisch zu.
    Da! Da war er wieder, dieser durchdringende Blick. Für einen kurzen Moment schien es, als würde er mir direkt in mein Innerstes blicken. Doch dann

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