Das Habitat: Roman (German Edition)
war es auch schon wieder vorüber. Naive Güte beherrschte wieder seine Züge.
„Doch darf ich wohl annehmen, dass, bei allen Aufregungen, welche unser beschauliches Dörfchen die nächsten Tage wohl in Atem halten wird, der Höhepunkt deiner Woche gleichwohl nach wie vor der sonntägliche Gottesdienst sein wird? Der Chor zählt auf dich! Und so wie du dich gemausert hast, glaube ich fast, dass du wohl jeden Tag fleißig übst.“
„Ja… aber natürlich.“, log ich.
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle anmerken, dass ich seit einiger Zeit im Kirchenchor sang. Meine Eltern hatten mich dazu genötigt. Da ich weder in der Fußballmannschaft mitspielte, noch jemals Interesse an anderen der vielfältigen Gemeindeaktivitäten gezeigt hatte, hatten sie mich vor die Wahl gestellt: Entweder ich schlösse mich der Jugendgruppe der Mutantensucher an, welche wöchentlich in ihren peinlichen Kniebundhosen und beigefarbenen Käppis, die hiesige Flora durchstreiften, auf der Suche nach Mutantenpflanzen oder Tieren, oder aber, ich würde mich eben dem Chor anschließen. Ich wählte schließlich das kleinere Übel. Außerdem konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Pater O’Malley einen nicht unwesentlichen Anteil an diesem Drängen gehabt hatte. Mehr als einmal hatte er meine Eltern bereits ins Gebet genommen, bezüglich meines mangelnden Interesses am Gemeindeleben.
Ich sang grauenhaft. Dennoch, niemand schien sich ernsthaft daran zu stören. Ich stand Sonntags in der hintersten Reihe und sang so leise wie möglich. Oft machte ich auch nur lautlos den Mund auf und zu. Selbst Pater O’Malley – dessen ganzer Stolz der hervorragende Chor war, wie er immer wieder betonte –, ermutigte mich stets, intensiv zu üben, um mein angebliches Talent weiter auszubauen.
Tatsächlich ging es nur um mein festes Einbinden in die Gemeinschaft. Ich sollte tief mit dem Gemeinwesen verwoben werden. Außenseiter konnte diese Gesellschaft sich nicht erlauben. Waren auch nur Ansätze hierzu zu erkennen, so wurde dem sofort gegengesteuert. Doch das sind Zusammenhänge, welche ich erst viel später durchschauen sollte. Und ich will den Ereignissen auch nicht vorgreifen.
Pater O’Malley hatte meine Lüge sicher durchschaut. Dennoch ließ er es sich in keinster Weise anmerken. Ich atmete erleichtert auf, als er sich Malcolm zuwandte. Er sah ihm tief in die Augen.
„Nun, Malcolm, hast du inzwischen über mein Angebot nachgedacht?“
Ich war überrascht. Welches Angebot? Malcolm und ich hatten doch sonst keine Geheimnisse voreinander.
Malcolm nickte bedächtig. Und wieder konnte ich diesen tiefen durchdringenden Blick des Priesters wahrnehmen. Doch diesmal galt er dem Freund. Als er Malcolms Nicken sah jedoch, war der Eindruck auch schon wieder wie weggewischt. Pater O’Malley klatschte freudig in die Hände.
„Fein, fein! Ich erwarte dich am Sonntag, nach der Messe, zum Tee, dann können wir über deine Zukunft reden. Jetzt aber wollen mich die jungen Herren bitte entschuldigen. Amtsgeschäfte warten auf mich.“
Er verdrehte die Augen und sah gottgefällig gen Himmel.
„Die Mühsal der Verwaltung. Doch jeder hat das Bündel zu tragen, das der Herr ihm auferlegt.“
Damit entfernte er sich von uns. Er winkte uns noch kurz zu und verschwand in Richtung Kirche.
Vielleicht sollte ich hier noch kurz erwähnen, dass Pater O’Malley nicht nur der Pfarrer der Umgegend war, sondern zugleich auch noch der Bürgermeister von Ballynakill. Eine Kombination von Ämtern die zwar nicht eben Gang und Gäbe, doch auch bei Weitem keine Seltenheit war, wie ich später noch erfahren sollte.
Malcolm wollte sich anschicken, weiter zu gehen. Ich jedoch hielt ihn am Ärmel fest. Schließlich drehte er sich zu mir um.
„Was für ein Angebot? Wovon hat Pater O’Malley gesprochen?“
Der Freund wand sich sichtlich unter meinen Blicken.
„Malcolm!“
„Also gut, es ist so...“, druckste er herum. Ich dachte schon, er würde es sich anders überlegen. Schließlich aber sagte er es mir doch. Leise nur, kaum hörbar: „Pater O’Malley hat mir angeboten, mir ein Empfehlungsschreiben für das Ordinariat in Ennis aufzusetzen...“
„Du willst Priester werden!“, platzte es aus mir heraus. Fassungslos starrte ich den Freund an. „Du?“ Ich konnte nicht glauben, was ich da eben gehört hatte.
Malcolm war in diesem Frühjahr 15 Jahre alt geworden, genauso wie ich; wir lagen nur wenige Monate auseinander. Es war also an der Zeit, dass
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