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Das Habitat: Roman (German Edition)

Das Habitat: Roman (German Edition)

Titel: Das Habitat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Luzius
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frage nicht noch einmal!“
    Er hatte sich erhoben und baute sich nun drohend vor mir auf. Wut flackerte in seinen Augen, doch auch so etwas wie Furcht – Furcht um mich. Damals nahm ich es kaum war. Doch heute, wenn ich daran zurückdenke, kann ich diese tiefe Besorgnis klar erkennen.
    Ich war fest entschlossen, zu lügen - mir irgendeine Geschichte auszudenken. Auf keinen Fall wollte ich Malcolm da mit hineinreiten. Doch mein Vater prügelte die Wahrheit regelrecht aus mir heraus.
    Die folgenden Wochen waren sehr hart. Unzählige Gespräch mit Pater O’Malley, über die Verlockungen des Bösen und die Lügen Satans, musste ich über mich ergehen lassen. Ich durfte nahezu täglich irgendwelche Gemeindearbeiten verrichten, um meine Reue zu demonstrieren, und meine untrennbare Verbindung mit der Gemeinschaft zu bekräftigen. Dass ich nun im Chor sang, war letztendlich wohl auch auf meine damalige Verfehlung zurückzuführen.
    Allmählich aber hatte sich die Lage doch wieder zu normalisieren begonnen, wenngleich auch noch misstrauische Blicke, jeden meiner Schritte zu verfolgen schienen, sobald ich etwas tat, was nicht als absolut konform angesehen wurde.
    Malcolm aber hatte es noch viel schlimmer erwischt. Sein Vater war mit Pater O’Malley eng befreundet. Doch vielleicht war gerade das ein Glück für ihn gewesen, denn wäre der Pater nicht regelmäßig bei den Boyds eingekehrt und hätte beschwichtigend auf Malcolms Vater eingewirkt, dann hätte dieser seinen Sohn damals womöglich noch totgeschlagen. Für einige Wochen hatte Malcolm sogar ins Pfarrhaus ziehen müssen. Zur geistigen Einkehr und Rückführung auf den einzig wahren Weg der Unverderbten Wahrheit, wie es hieß. Dies muss eine entsetzliche Zeit für den armen Malcolm gewesen sein und erst seit wenigen Wochen ließ seine Familie ihn wieder ohne Aufsicht ins Dorf. Ursprünglich hatte sein Vater ihm jeglichen Kontakt zu mir strengstens verboten. Dass dieses Verbot dann aber doch wieder aufgehoben wurde, hatten wir – wie ich erst sehr viel später erfahren sollte und wofür ich lange Zeit keine Erklärung fand – der Intervention meines Vaters zu verdanken. Als reichster Farmer und Viehzüchter im gesamten Landkreis hatte sein Wort erhebliches Gewicht.
    Und nun also wollte Malcolm ins Ordinariat eintreten und Priester werden. Ausgerechnet er. Er, der unter den gesellschaftlichen Regeln doch so offensichtlich litt. Er, der so große Visionen hatte und Wissen in sich aufsog, gerade so wie eine verdurstende Pflanze das Wasser. Wissen das als verderbt galt. Er sollte sich nun Regeln, die sein ganzes Wesen, so wie ich es kannte, so sehr einengten, nicht nur unterwerfen – er sollte auch noch lernen, diese zu predigen. Ich verstand die Welt nicht mehr.
    Noch einmal wollte ich auf ihn eindrängen. Doch er gab mir keine Antwort.
    „Ich will jetzt nicht darüber reden“, sagte er nur und wandte sich ab.
    Bei jeder anderen Gelegenheit hätte ich wohl kaum so leicht aufgegeben, doch so sehr mich diese Neuigkeit auch überrascht hatte, so drängte sich mir doch schnell wieder der Gedanke an den Wanderzirkus in den Sinn, der bereits hinter der nächsten Biegung auf uns wartete.
     

Das schwarze Mädchen
     
    Pater O’Malley hatte wirklich nicht übertrieben. Nahezu die gesamte Dorfjugend hatte sich mittlerweile hier eingefunden. Wir schlenderten durch die Zeltstadt, die hier im Aufbau begriffen war, und kauten zufrieden Popcorn und in Zucker geröstete Nüsse, die an einem der bereits errichteten Stände angeboten wurden. Die Schausteller behandelten uns freundlich und unterhielten uns spontan immer wieder mit kleinen akrobatischen Einlagen – gerade genug, um unsere Neugier auf die erste Vorstellung, die noch am selben Abend stattfinden sollte, ins Unermessliche zu steigern. Einige dieser Leute sprachen, wenn sie sich untereinander unterhielten, in seltsamen unverständlichen Lauten.
    „Die alte Sprache“, raunte Malcolm mir zu, als er meine Verwunderung bemerkt hatte. Ich kannte Malcolm gut genug, um seine Worte nicht anzuzweifeln. Manchmal konnte er einem direkt unheimlich sein. Gab es überhaupt irgendetwas, was er nicht wusste? Allerdings, wenn ich etwas nachgedacht hätte, wäre ich wohl auch von selbst darauf gekommen. Außer der alten Sprache gab es schließlich keine weiteren – so zumindest glaubte ich damals noch.
    Was uns aber am meisten in seinen Bann zog, und gerade mich nahezu magisch gefangen nahm, das waren die vielen seltsamen und

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