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Das hätt' ich vorher wissen müssen

Das hätt' ich vorher wissen müssen

Titel: Das hätt' ich vorher wissen müssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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zu einer Waldschneise, danach über einen besseren Maultierpfad bis zu einer Lichtung. Bevor wir die Hütte sahen, hörten wir schon ihre Besucher. »Humbahumbahumba Täterä…«
    Der Wagen hatte noch gar nicht richtig gehalten, da war ich schon hinaus- und in die Holzbude hineingestürmt. Prompt prallte ich mit einer schwankenden Gestalt zusammen, die – Bierflasche in der Hand – selig lallend über den Gang torkelte. »Immer her-hereinspaziert, wir ham n-noch genug da. W-willste ‘n Bier, M-mütterchen?«
    Am liebsten hätte ich diesem kaum zwanzigjährigen Bengel eine gescheuert, aber dazu war ich leider nicht berechtigt. »Ist Sven da?«
    »A-aber klar doch.« Er drehte sich um und schoß im Zickzackkurs durch die angelehnte Tür in den Nebenraum. »Mufti, ich g-glaub, deine Alte ist da!«
    »Quatsch, die is unten!« kam es zurück.
    »Aber w-wer is denn die d-da draußen?«
    Ein Stuhl flog polternd um, und dann stand »Mufti« vor mir: Lange weiße Unterhosen, darüber ein blaugelbgeringeltes Hemd mit der Aufschrift »Vati ist der Beste«, auf dem Kopf eine Perücke, zusammengewurstelt aus den Bändern alter Tonbandkassetten. »Wo kommst du denn so plötzlich her???«
    »Von da, wo du normalerweise hingehört hättest!« Ich holte aus und knallte ihm die letzte Ohrfeige seines Lebens ins Gesicht. Er war so perplex, daß er mich nur wortlos anglubschte. Dann riß er sich zusammen. »Ich wollte gerade runtergehen«, behauptete er.
    »Das stimmt doch, nicht wahr, Tommi?«
    Tommi winkte bestätigend mit der Flasche.
    »Es ist drei Minuten nach Mitternacht!« erklärte ich meinem Sohn, drehte mich um und donnerte die Tür hinter mir zu. Sie flog aber sofort wieder auf, und so konnte ich Steffi noch hören: »Ich glaube, vor Ostern brauchst du dich zu Hause nicht mehr blicken zu lassen. Was du dir heute geleistet hast, war wirklich der Hammer!«
    Mehr schlingernd als fahrend rutschten wir den Berg wieder hinunter. Bevor wir Michael an dem Gasthaus absetzten, ließen wir uns genau den Rückweg zur Autobahn beschreiben. Er tat das ebenso wortreich wie umständlich, und schon an der zweiten Kreuzung wußten wir nicht mehr weiter.
    »Wir sollen uns immer links halten«, rekapitulierte Stefanie die Anweisungen und hielt sich links. Die Straße endete an einer weiteren Kreuzung, Steffi bog wieder links ab, und nach etwa zehn Kilometern erblickten wir das ersehnte blaue Schild.
    »Na also«, frohlockte sie, aber die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. »Autobahn Stuttgart-Karlsruhe« las ich entgeistert. »Das ist ja völlig verkehrt! Wir müssen doch nach Heilbronn!«
    Stefanie überlegte laut. »Zwei Möglichkeiten haben wir nur. Entweder tasten wir uns durch die Einöde zurück zur richtigen Autobahn, von der wir beide nicht wissen, ob und wann wir sie finden, oder wir nehmen hundert Kilometer Umweg in Kauf und fahren über Karlsruhe nach Hause. Immerhin haben wir so die Chance, noch vor dem Morgengrauen ins Bett zu kommen.«
    »Reicht denn das Benzin?«
    »Bis zur nächsten Tankstelle auf jeden Fall.«
    »Wenn zwanzig Mark genügen, ist es in Ordnung. Ich hab nämlich vergessen, Geld einzustecken.«
    Die Autobahn war leer, kein Wagen überholte uns, aber das dürfte auch unser Glück gewesen sein, denn jeder normale Fahrer hätte sofort die Polizei verständigt und vor den beiden Verrückten gewarnt, die da mutterseelenallein und lauthals grölend über die Straße bretterten. Um die aufkommende Müdigkeit zu bekämpfen, hatten wir das Seitenfenster geöffnet, die Heizung hoch- und das Radio auf volle Lautstärke gedreht. Schlager der sechziger Jahre tönten aus den Boxen, und die kannte ich alle! Von Arrividerci Hans über Adelheid mit dem Gartenzwerg bis zu den zwei kleinen Italienern sang ich alles mit, begleitet von Stefanies Protestgeschrei, die das »schmalztriefende Gesülze« als unerträglich bezeichnete. Dank ihres pausenlosen Schimpfens blieb sie wenigstens wach, und irgendwann zwischen Mitternacht und Morgen landeten wir tatsächlich unversehrt im Heimathafen.
    »Nie wieder eine Lesung!« schwor ich, das Angebinde aus Gerbera und Iris in die nächstbeste Vase stopfend. »Da trete ich doch lieber als Pausenclown im Zirkus auf!«
    »Da kriegst du aber keine Blumen«, lachte Steffi, »und überhaupt hast du ganz prima gelesen.«
    »Woher willst du das denn wissen? Sag bloß, du hast etwas verstanden?«
    »Nicht direkt«, gab sie zu, »aber ich habe doch deine Mundbewegungen gesehen.«

18
    Eines Abends

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