Das hätt' ich vorher wissen müssen
aus, denn kaum jemand hatte zugehört. Lediglich aus dem Hintergrund, wo die Familie des Vorstands Platz genommen hatte, tönte zaghaftes Klatschen.
»Zum Donnerwedder nochemol, jetzt hockt euch endlich weder no!« brüllte Herr Dreher.
Nur sehr ungern kam man dieser Aufforderung nach, aber allmählich kehrte Ruhe ein. Der Vorhang wurde geöffnet und enthüllte ein mitten auf der Bühne stehendes Tischchen nebst Klavierhocker sowie ein Mikrofon. An dieser exponierten Stelle sollte ich nun Platz nehmen. Ich breitete mein Manuskript aus, zückte die Brille und – mußte feststellen, daß ich kaum ein Wort entziffern konnte. Es war einfach zu dunkel. Aber ganz aufs Auswendigherunterbeten wollte ich mich nun doch nicht verlassen. »Könnte man nicht vielleicht einen Scheinwerfer aufstellen?« Schließlich hatten sie ja drei.
»Natürlich, sofort!« sagte Herr Dreher und beorderte jemanden in die Gerätekammer, um das Gewünschte zu holen. Der Scheinwerfer wurde aufgestellt, nur war die Strippe zu kurz und ein entsprechend langes Verbindungskabel nicht aufzutreiben.
»Dät’s Ihne was ausmache, sich do unde nozusetze?« Allmählich bildeten sich Schweißtröpfchen auf Herrn Drehers Stirn.
Nein, es machte mir nichts aus, wieder von der Bühne herunterzuklettern, ich wollte die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen. Am liebsten wäre ich getürmt, was den Anwesenden vermutlich sehr recht gewesen wäre, denn die Begeisterung für die angekündigte Lesung war ihren Gesichtern nur zu deutlich abzulesen. Dieser angebliche Höhepunkt des Abends stand nun aber auf dem Programm und hatte gefälligst auch stattzufinden.
Inzwischen war das Rednerpult neu aufgebaut worden, der Scheinwerfer war angeschlossen, Herr Dreher flüsterte »Eins… zwei… drei…« ins Mikrofon, worauf schon aus der vierten Reihe der Ruf erklang: »Lauder!« Nach mehrmaligen Versuchen mußte er zugeben, daß das Mikro offenbar defekt und ein zweites nicht vorhanden sei. »Aber die Akuschtik in de Saal isch au so sehr gut!«
Ich fand mich damit ab, meinen Vortrag in den Saal zu brüllen, was dem Inhalt der Geschichte nicht gerade förderlich war. Im übrigen hörten die wenigsten zu. Kaum hatte ich die ersten Sätze herausgeschrien, da öffnete sich die Tür, und vier Kellnerinnen marschierten herein, beladen mit Tabletts voll Jägerschnitzel und Schlachtplatten. Auch vor Stefanie wurde eine Portion abgestellt. Notgedrungen unterbrach ich meine Lesung und nahm sie erst wieder auf, als jeder fröhlich kauend vor seinem Teller saß. In Windeseile spulte ich meinen Text herunter, denn nun war mir endgültig klargeworden, daß sich kein Mensch dafür interessierte. Zwischenrufe wie »Traute, noch zwei Bier und eine Weißweinschorle süß!« waren auch nicht dazu angetan, mein Engagement für diese Kulturapostel zu stärken. Große Illusionen hatte ich mir ohnedies nicht gemacht, aber selbst in einem Kindergarten wäre es disziplinierter zugegangen.
Endlich hatte ich das erste Kapitel fertiggebrüllt, auf das zweite verzichtete ich, klappte den Schnellhefter zu, setzte die Brille ab und stand auf. Keine Hand rührte sich. Warum auch? Kaum jemand hatte zugehört, und wer es vielleicht doch versucht hatte, hatte nichts verstehen können. Demonstrativ begann Herr Dreher zu klatschen, ein paar ganz besonders Höfliche zogen nach, aus den Falten des Vorhangs wurde ein Wassereimer geholt, in dem der obligatorische Blumenstrauß schwamm, und als ich ihn feierlich überreicht bekam, flammte ein Blitzlicht auf. Also hatte sich Sven wohl doch noch bequemt, hier aufzukreuzen.
Selbst das war ein Irrtum! Michael kam auf mich zugeschossen und bat: »Können wir die Übergabe noch mal wiederholen? Ich habe nämlich die Entfernung falsch eingestellt.«
Herr Dreher drückte mir das farbenprächtige Gemüse ein zweites Mal in die Hand, ich grinste ihn zähneknirschend an, und danach war ich entlassen. Ob ich nicht noch eine Kleinigkeit essen wolle? Nein, danke, ich hatte restlos genug und nur noch den einen Wunsch: Sven ausfindig zu machen und ihm gründlich die Leviten zu lesen! »Wenn der mir in die Finger kommt, kann er was erleben!« orakelte ich mit finsterer Miene, während Steffi den Schnee vom Auto fegte und Michael mir zu erklären versuchte, wie wir diese Waldhütte finden würden. »Ich glaube, ich komme doch besser mit.«
Wie wahr, ohne ihn hätten wir den Schuppen nie entdeckt. Erst ging es eine Zeitlang bergauf, dann quer über eine Wiese bis
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