Das hätt' ich vorher wissen müssen
hatten, war zumindest ein Anlaß des täglichen Ärgers entfallen, aber wenn die Zwillinge trotzdem weiter an meinen Nerven sägten, so lag es wohl daran, daß sich bei ihnen konservierte Eigenheiten von Kleinkindern jetzt mit denen der Teenager mischten. Wenigstens war Stefanie ein tröstliches Beispiel, wie sich auch »kleine Ungeheuer« (Formulierung einer Tante aus gegebenem Anlaß) irgendwann einmal mausern.
Der Tag, an dem »unser Heim reportiert« werden sollte – Wortschöpfung von Katja! – rückte näher. Es wurde also Zeit, das Haus einer gründlicheren Inspektion zu unterziehen. Nun ist ein Hausputz, solange man heranwachsende Kinder um sich hat, wie Schneeschippen, wenn es noch schneit. Außerdem hatte ich meine Abneigung gegen jede Art von Hausarbeit schon mehrmals in die Öffentlichkeit getragen, es hätte somit meinem Image widersprochen, blankgewienerte Fußböden vorzuweisen. Trotzdem: Die Gardinen im Wohnzimmer mußten wenigstens gewaschen werden, vielleicht brauchte ich dann nicht auch noch die Fenster zu putzen. Während ich überlegte, was weniger auffallen würde, kahle Blumenbeete im Garten oder leere Blumenvasen im Haus, kam Nicki kleinlaut angeschlichen. »Ob die auch unser Zimmer besichtigen wollen?«
»Ich glaube schon. Vielleicht wollen sie wissen, ob ihr übereinandergestapelt schlaft.«
»Dann muß Sven, wenn er morgen kommt, zuallererst das Regal wieder zusammenkloppen. Katja hat nicht gewußt, daß der Fuß ab ist, und nun hat sie das Englischbuch drunter vorgezogen. Der Fernseher ist aber heil geblieben!«
Nachdem ich das Durcheinander von Brettern, Büchern und verstreuten Kinkerlitzchen gesehen hatte, nahm ich mir vor, das oberste Stockwerk als off limits auszugeben und den Rundgang in der ersten Etage zu beenden. Wohldosierte Unordnung kann ganz gemütlich wirken, aber das da oben war entschieden zuviel.
»Von den elf Paar Schuhen im Flur sind morgen früh mindestens sieben Paar verschwunden, ist das klar? Eure Winteranoraks könntet ihr auch langsam mal weghängen, wir haben August!«
»In zwei Monaten brauchen wir sie doch wieder, weshalb also erst nach oben schleppen?«
»Weil ich morgen in der Garderobe zwei leere Bügel brauche.«
»Im Wetterbericht haben sie gesagt, wir kriegen wieder über 25 Grad. Da rennt doch kein Mensch mit ‘ner Jacke rum!«
Auch wieder wahr.
»Warum müssen die ausgerechnet am Wochenanfang einreiten?« maulte Sascha, als ich ihn endlich hochgescheucht hatte. »Der Montag ist noch nie mein Tag gewesen. Da komme ich mir immer vor wie Robinson: Ich warte auf Freitag.«
»Aber nicht im Bett! Und jetzt beeil dich ein bißchen, gegen zehn wollen die Reporter hiersein.«
»Weshalb denn diese Hektik? Es ist ja noch nicht mal neun.« Gähnend schlurfte er ins Bad, und ich hörte ihn noch murmeln: »Wer einsam ist, der hat es gut, weil keiner da, der ihm was tut.«
Unten juchzten die Zwillinge. »Wie siehst du denn aus?«
Die protestierende männliche Stimme gehörte Sven. »Ihr seid ja schon so verbauert, daß ihr nicht mal mehr wißt, wie man sich anständig anzieht.«
Mir schwante Fürchterliches. Wenn Sven sich in Schale wirft, sieht er meistens aus wie ein Zuhälter von der Reeperbahn. Er hat eine Vorliebe für Großkariertes und cremefarbene Schuhe, und in genau diesem äußerst dezenten Aufzug präsentierte er sich. Außerdem fehlte ihm ein Schneidezahn.
»Den hat mir vor drei Tagen einer von unseren Azubis rausgehauen. Aus Versehen natürlich. Mit’m Spatenstiel. Ich bin sofort zum Zahnarzt, der hat die Ruine gezogen, aber Ersatz kriege ich erst rein, wenn die Wunde verheilt ist.«
»Dann machst du am besten heute nicht mehr den Mund auf«, empfahl ich, mußte aber einsehen, daß das in Anbetracht der besonderen Umstände kaum möglich sein würde.
»Määm, du kannst doch sagen, Sven hätte Kehlkopfkatarrh und dürfe nicht reden«, schlug Steffi vor.
Probehalber krächzte er ein bißchen herum. Es hörte sich an wie ein asthmatischer Papagei und klang wenig überzeugend. Da fiel mir meine Mutter ein, die sich einmal mit genau dem gleichen Problem hatte herumschlagen müssen. Kurz nach Kriegsende war es gewesen, als ihr der rechte Vorderzahn abgebrochen war. Zahnersatz, sofern überhaupt erhältlich, ließ sich nicht von einem Tag zum anderen beschaffen, und so hatte sie zur Selbsthilfe gegriffen. Aus Kerzenwachs hatte sie eine Art Stiftzahn modelliert. Sogar der Farbton hatte einigermaßen gestimmt, nur essen durfte sie
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