Das hätt' ich vorher wissen müssen
Bügelt anstrahlte: »Da müssen Sie sich nichts draus machen, so geht das hier immer zu.«
»Und ich wollte Ihnen gerade das Gegenteil versichern«, sagte ich kleinlaut, führte unsere Besucher auf die Terrasse und bat sie, Platz zu nehmen.
»Könnten wir nicht zuerst durch das Haus gehen?« wünschte Frau Hellmers. »Ich würde gern die Lichtverhältnisse prüfen.«
Also prüften wir die Lichtverhältnisse. Am besten waren sie im Bad, aber da wir dort weder schwarze Kacheln an der Wand noch ein Leopardenfell auf dem Boden hatten, war dieser Raum uninteressant. Rolfs Arbeitszimmer gab auch nicht viel her, außerdem sollte ja mein Schreibtisch fotografiert werden, obwohl der nicht viel anders aussah, und überhaupt »machen wir das am besten sofort, jetzt habe ich die Sonne noch im Rücken«.
Sehr schön, aber wie? Mein Schreibtisch steht direkt vor dem Fenster. Frau Hellmers zögerte nicht lange. »Die Fensterflügel machen wir ganz auf, Sie rücken den Tisch einen Meter zurück, und ich stelle mich auf den Balkon. Wir versuchen es mal, ja?« Sie schaute durch die Kamera. »Noch ein Stückchen nach hinten! Ja, so ist es gut. Kann mal jemand den Rahmen festhalten? Er kommt dauernd ins Bild.«
Katja quetschte sich in die Ecke und drückte die Fensterscheibe gegen die Wand, während ich mich vor die aufgeklappte Schreibmaschine setzte und ein nachdenkliches Gesicht zu machen versuchte. Die Autorin bei der Arbeit, oder so ähnlich.
»Und nun zusammen mit den drei Mädchen!« Frau Hellmers gruppierte um. Links von mir sollte Katja stehen, rechts Nicole und hinter mir Stefanie. Gemeinsam beäugten wir scheinbar amüsiert das leere Blatt Papier in meiner Hand. Einen halben Meter neben diesem Gruppenbild stand Sascha, hielt das Fenster fest und feixte.
»Da fehlt noch was!« Frau Hellmers rückte das Glas mit den Buntstiften näher heran. »So, jetzt kommt Farbe rein.«
»Das geht nicht! Das Glas würde keine drei Minuten dort stehenbleiben, weil es der Wagen von der Maschine sofort runterfegt.«
»Das merkt keiner.« Trotzdem war sie noch immer nicht zufrieden. »Haben Sie nicht ein paar Blumen?«
»Auf dem Schreibtisch? Die wären ja noch schneller unten als das Glas.«
»Vielleicht eine Tasse?« schlug Nicki vor. »Wenn meine Mutter hier oben sitzt, trinkt sie literweise Kaffee.«
»Sehr gut. Könntest du eine holen?«
Nicki trabte ab und kam mit einer Sammeltasse zurück.
»Trinkt deine Mutter immer daraus?«
»Nö, die benutzen wir sonst nie.« Verstohlen wischte sie die Staubschicht vom Goldrand. »Ich hab nur gedacht, daß sie vielleicht schöner aussieht als der olle Topf, den Mami immer nimmt.«
Stefanie trug die Sammeltasse weg und brachte den roten Keramikbecher mit dem angeschlagenen Henkel. »Den hat sie aber wirklich jeden Tag hier rumstehen.«
Es dauerte weitere fünf Minuten, bis die Komposition auf dem Schreibtisch Frau Hellmers’ Vorstellungen entsprach. Danach kamen wir dran. Kopf mehr nach links, bitte den Arm um die Schulter legen, ein bißchen näher an die Schwester heranrücken, nein, das ist zuviel, Kinn etwas höher, rechte Hand am besten in die Hosentasche stecken… ich glaube, wir haben ausgesehen wie eine Ansammlung von Marionetten.
»So war es schön!« Zufrieden setzte Frau Hellmers die Kamera ab. »Und nun machen wir ein paar Bilder, wie eure Mutter mit euch im Kinderzimmer spielt.«
»Nein!!!« schrien wir entsetzt, und »Bloß nicht!« fügte Katja schnell hinzu. Ich suchte noch nach einer Ausrede, als Sascha die Situation rettete. »Wäre es im Garten nicht besser? Da haben doch alle mehr Bewegungsfreiheit. Wenn sie unbedingt spielen muß, nehmen wir das Krocket. Sie trifft zwar nie durchs Tor, aber das sieht man ja nicht.«
Auf der Terrasse hatten es sich die drei Herren gemütlich gemacht und die erste Flasche Wein geleert. Rolf holte gerade die zweite. Herr Jügelt unterhielt sich mit Sven. »Wenn man die Bücher Ihrer Mutter liest, hat man den Eindruck, daß Ihre Eltern sehr modern eingestellt sind. Stimmt das?«
»Überhaupt nicht!« widersprach Sven sofort. »Wir haben immer noch ein Wählscheiben-Telefon und einen Büchsenöffner mit Handbetrieb. Und als ich meinen Vater neulich mal mit in eine Videospielhalle geschleift habe, da hat er doch tatsächlich den Geldwechsler für einen Spielautomaten gehalten. Modern?« Er schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nee, ganz bestimmt nicht.«
Herr Jügelt notierte. »Und wie ist es mit der Toleranz?« forschte er
Weitere Kostenlose Bücher