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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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sich zusammen, als sie an Henner dachte und an die Zeit, als er noch so ein süßer kleiner Junge gewesen war, der sich ständig am Leben verschluckte, weil er nicht genug auf einmal bekommen konnte. Mein Gott, der arme Henner. Er musste sich elend fühlen. Hoffentlich hatte er jemanden an seiner Seite, der ihn auffing, wenn die Nachricht von Kais Tod ihm den Boden unter den Füßen wegzog. Vielleicht sollte sie zu ihm gehen? Um Himmels willen, der arme Henner.
    Vielleicht wäre es auch besser, gleich zur Polizei zu gehen und die wichtigen Dinge zu Protokoll zu geben, bevor sie danach gefragt werden würde. Es war nur eine Frage der Zeit, dass ihr Name in diesem Zusammenhang auftauchte, warum also nicht gleich das Rad aus dem Schuppen holen und die paar Meter bis zur Dienststelle fahren?
    »Mama, hast du nicht gehört? ‘ne Leiche haben sie gefunden, stell dir das mal vor.« Michels kleine, runde Brille beschlug vom Dampf, der aus dem Becher stieg, und er schaute aufgeregt und unwissend, während er mit spitzen Lippen den heißen Tee schlürfte.
    »Ich weiß es schon, mein Schatz«, sagte Astrid sanft. Michel stellte mit einem unvorsichtigen Ruck die Tasse auf den Tisch und eine große hellbraune Pfütze breitete sich auf der weißen Tischdecke aus.
    »‘tschuldigung, Mama!«, murmelte er pflichtbewusst.
    »Aber wenn du es schon weißt, das mit dem Toten, dann weißt du doch auch, wer es ist. Das konnte mir Kevin nämlich nicht sagen.«
    »Es ist Onkel Kai«, sagte Astrid langsam, und sie sprach diesen Namen das erste Mal so aus, als gehöre er wirklich zur Familie.

Samstag, 20. März, 10.18 Uhr
    S eike Hikken war wirklich eine Prachtfrau. Tjark Bonnhofen schaute ihr hinterher, wie sie den Teepott in die Küche trug und die friesenblonden Haare dabei sanft über die Stelle kitzelten, an der ihr Rücken in einen wunderbar vollen Hintern überging.
    »Nein danke, für mich nicht«, antwortete er mit trockenem Mund. »Ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Es war schon unverschämt, Ihnen den Vormittag mit schlechten Nachrichten zu verderben.«
    Er hörte ihr sanftes Lachen aus dem Nachbarzimmer.
    »Ich habe gern Gesellschaft, mit der ich mich in zusammenhängenden Sätzen unterhalten kann. Als allein erziehende Mutter kann es passieren, dass der Tag zu Ende geht und man nur pädagogisch bedenkliche Brabbeleien von sich gegeben hat.«
    Bonnhofen äugte zu dem kleinen Jungen hinüber, der mit ziemlich speckigen Ärmchen nach dem CD-Ständer griff. »Nanana, junger Mann, ich bin mir sicher, du solltest das besser nicht tun«, sagte Bonnhofen und ging schnell zu dem Kind, welches im Begriff war, die Plastikhüllen gleich reihenweise herauszureißen. Sanft löste er die butterverschmierten Patschehändchen von der verbotenen Beute, wischte die winzigen Fingerabdrücke mit der Serviette ab und schob die CD zurück an ihren Platz. Der Junge schaute ihn entgeistert an und die weichen Bäckchen hingen schlaff vor Verwunderung an seinem Mondgesicht. Bonnhofen hatte auch Kinder, drei Stück sogar. Er konnte sich nicht daran erinnern, ihnen jemals die Finger gesäubert zu haben. Seit der Scheidung war nun ja sowieso ein anderer Mann dafür zuständig, obwohl sein Nachwuchs für solche Lümmeleien inzwischen viel zu alt war.
    »Siehst du, Paul, nun haben wir alles wieder an seinem richtigen Platz!«, sagte er mit einer albernen Stimme, die sicher eine Terz höher klang als seine gewöhnliche Tonlage. Doch vielleicht beobachtete Seike Hikken ihn die ganze Zeit von der Küche her, und da musste er eben alle Register ziehen. Sie sollte ihn mögen, darauf kam es an.
    Tjark Bonnhofen wunderte sich, wie schwer dieses Riesenbaby war, als er es sanft vom Boden hob und auf den Arm nahm.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es keinen Spaß machen soll, sich um diesen süßen Paul hier zu kümmern.«
    Er schaute zur Küche. Mist. Sie stand gar nicht wie vermutet im Türrahmen, sondern mit dem Rücken zu ihm an der Spüle. Vielleicht war diese Butterwischerei also doch für die Katz gewesen.
    Eines war wirklich merkwürdig: Er hatte ihr gleich zu Anfang des Gesprächs von Kai Minnerts Tod berichtet. Ganz schonend hatte er es ihr beibringen wollen, schließlich waren die beiden Nachbarn und Vereinskollegen gewesen. Doch sie hatte sich nichts anmerken lassen. Seit einer halben Stunde saß er nun an ihrem Tisch und wartete auf eine Reaktion ihrerseits. Fehlanzeige. Sie kümmerte sich um ihren Sohn, um den Tee, um ihren Gast, doch der Mord

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