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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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erzählen. Bis auf die erste Überraschung hatte sie nicht einen Moment die Fassung verloren. Dabei war Minnert doch ihr direkter Nachbar gewesen. Ihr Verhalten erschien Bonnhofen wirklich seltsam. Seltsam und verdächtig.

Samstag, 20. März, 10.20 Uhr
    W ir brauchen das Ergebnis der Obduktion wohl kaum abzuwarten, um hier auf Todesfall mit Fremdeinwirkung zu kommen.« Wencke machte sich auf dem Bürostuhl lang und hatte ihre malträtierten Füße unauffällig in eine Papierablage geschoben. Nie wieder Pumps, schwor sie sich grimmig. »Dass Kai Minnert selbst den Riegel von außen vorgeschoben hat, um die Schaufensterrückwand zu verschließen, steht wohl nicht zur Debatte. Und egal, ob er sich nun freiwillig in den Verschlag gezwängt hat oder nicht, es muss in jedem Fall jemand da gewesen sein, der oder die ihn dort eingesperrt hat. Und diesen Jemand müssen wir finden.«
    Sie war mit Sanders allein im kleinen, grau gestrichenen Polizeirevier. Viel Platz war hier nicht. Sanders, der sich für einen kurzen Moment entschuldigt hatte und dann in seinem vertrauten Schlips-und-Kragen- Outfit und mit geordneter Frisur wieder auftauchte, schob die zugezogene Jalousie ein wenig zur Seite. So konnte Wencke sehen, was sie in den nächsten Stunden erwartete: Vor dem Haus standen bereits sieben Menschen. Und dabei war es gerade mal zwanzig nach zehn.
    »Die sehen alle in keiner Weise betroffen oder niedergeschlagen aus«, bemerkte Wencke. »Gibt es denn hier niemanden, dem der Tod von Kai Minnert zu schaffen macht?«
    »Sein Lebensgefährte Henner Wortreich ist mit Sicherheit noch nicht vernehmungsfähig. Wir haben ihn gleich an die Männer vom Roten Kreuz weitergereicht, so fertig war er vorhin am Tatort.«
    »Sanders, könnten Sie bitte mal auf der Krankenstation nachfragen, wie es ihm geht? Sobald er wieder einigermaßen beieinander ist, würde ich den armen Witwer gern besuchen. Ich werde auch ganz vorsichtig sein, richten Sie das bitte aus.«
    Sanders griff prompt zum Telefon. Das klappt ja wunderbar, dachte Wencke, früher hatte er ihr etliche Warums um die Ohren gehauen, sobald sie ihm eine Anweisung gegeben hatte, heute ließ sich mit ihm arbeiten. Reibungslos und trotz Krawatte. Schade, dass Sanders nicht mehr zum Team gehörte, kam es Wencke in den Sinn.
    »Geben Sie ihm noch eine Stunde, soll ich ausrichten«, sagte Sanders, während er das altmodische Kabeltelefon wieder an seinen Platz auf dem Schreibtisch stellte.
    »Na, dann mal los«, sagte Wencke ohne den nötigen Elan und Axel Sanders öffnete die Tür.
    »Kapitän Feiken!«, begrüßte er den riesigen Kerl, der beim Hereinkommen artig die Kappe vom Schädel nahm und ihr einen verlegenen Blick schenkte. Wencke erkannte den Schaulustigen mit der großen Klappe.
    »Jau, dann will ich mal«, sagte er seltsam schüchtern und ließ sich auf den mickrigen Stuhl vor dem Schreibtisch nieder, was dieser ihm knarzend übel nahm. »Um ehrlich zu sein, so viel weiß ich auch nicht, zumindest nicht wirklich, nur vom… Hörensagen heißt das?«
    »Ja, Hörensagen heißt das!«, antwortete Wencke. Da sie zu ahnen begann, dass ihren Ohren an diesem Vormittag noch etliche Sätze dieser Art zugemutet werden würden, verschlechterte sich ihre Laune schlagartig. Blasen an den Füßen und Menschen, die auf einmal nichts mehr wussten, wenn ihre Worte zu Protokoll genommen wurden.
    Sanders saß mit geradem Rücken am PC und gähnte.
    »Naja, der Kai, er war eben schwul, vom anderen Ufer, ein warmer Bruder sozusagen.«
    »Herr Feiken, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie nicht aus lauter Verlegenheit sämtliche Synonyme für Homosexualität aufzählen würden«, fuhr Wencke hoch. »Oder haben Sie etwa ein Problem damit? Oder sonst irgendwer?«
    »Quatsch. Hab ich nicht. Ist mir doch egal, wie die leben!« Fast trotzig umfassten seine gewaltigen Pranken die dünnen Stuhllehnen. »Der Kai hat das ja auch ganz still und heimlich gemacht. Also, es wusste zwar jeder hier auf Juist, aber er hat es eben nicht zur Schau gestellt. War nicht tuntig oder fummelig oder so. Und dann war das schon okay!«
    Wencke schaute den schwitzenden Mann durchdringend an. »Aber trotzdem ist es das Erste, was Ihnen über Kai Minnert in den Sinn kommt. War er nicht auch der erste Vorsitzende des Heimatvereins, ein Ladenbesitzer, ein ehemaliges Ratsmitglied? Minnert scheint zu Lebzeiten ein Hans Dampf in allen Gassen gewesen zu sein, und Sie sprechen ausgerechnet zuerst von seinen intimen Neigungen, obwohl er

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