Das Hagebutten-Mädchen
Mörderin jedenfalls. Trotzdem war die Geschichte von Kapitän Feiken die einzige, in die ich ein wenig Ermittlungsarbeit investieren würde. Manchmal stecken hinter alten Erlebnissen ja auch ganz akute Konflikte. Wer weiß denn schon, wie viel Einfluss diese Vergangenheit noch auf das heutige Leben dieser Frau hat?«
Sanders trank seinen Kaffee und schwieg. Anscheinend hatte auch er keine heiße Spur entdeckt und war genauso ratlos wie sie. Das war noch nie passiert. In Aurich hatten sie sich stets gegenseitig grandiose Erkenntnisse um die Ohren gehauen und um den richtigen Riecher gewetteifert. Und nun saßen sie hier wie zwei Hohlköpfe.
In Wenckes Jackentasche piepte das Handy.
»Die Gerichtsmedizin!«, sagten beide wie aus einem Mund, und Wencke musste ein Lachen unterdrücken, als sie das Gespräch annahm.
»Kollegin Tydmers, hallo aus Oldenburg, Rieger am Apparat. Wir haben unter Vorbehalt die ersten Angaben über Ihre Juister Leiche parat.«
»Das haben wir uns schon fast gedacht«, sagte Wencke und schickte Sanders ein Zwinkern hinüber.
»Der Mann ist an einer Kohlendioxidvergiftung gestorben. Ich nehme mal an, er ist am Tatort zu Tode gekommen, es war doch ein kleines Schaufenster, wenn ich richtig informiert bin. Spuren von Gewaltanwendung konnten wir keine finden, jedoch eine beachtliche Menge Alkohol im Blut und einen enorm gefüllten Magen, was den Tod ein wenig beschleunigt haben könnte. Grünkohl mit Kartoffeln und fettem Fleisch, eine ganze Menge Bier, ein wenig Sekt und eine sonderbare Art von Schnaps, wahrscheinlich selbst gebrannt, wenn Sie es genau wissen wollen.«
»Können Sie mir nähere Auskünfte über den Todeszeitpunkt geben?«
»Der Todeszeitpunkt steht ziemlich eindeutig fest, es muss so gegen 6 Uhr morgens gewesen sein. Doch was Sie wahrscheinlich eher interessieren dürfte, ist, wann die Tat passiert sein muss, und darüber kann ich Ihnen nur vage Auskunft erteilen. Wenn die Jungs von der Spurensicherung mit der gewohnten Sorgfalt gemessen haben, dann gehen wir von ca. 1100 Liter Raumluftvolumen aus, und da der Tote ja am Boden gelegen hat und dort die höhere C02-Konzentration ist, wird die kleine Kammer so gegen, hmm… na ja, so gegen zehn bis elf Uhr abends verschlossen worden sein. Wie gesagt, Kollegin Tydmers, alles sehr vage und unter Vorbehalt der weiteren Laborergebnisse. Ich habe Ihnen die Daten ausgedruckt, Sie müssten gleich bei Ihnen aus dem Fax rauschen.«
»Das ist wunderbar, Kollege Rieger«, sagte Wencke, obwohl sie die ungenauen Ergebnisse alles andere als wunderbar finden konnte. Noch mehr Nebel, wo man sich klarere Sicht versprochen hatte. Mit einem Dankeschön beendete sie das Telefonat, dann seufzte sie resigniert und erzählte Sanders, dass es so gut wie nichts zu erzählen gab.
»Vor allem kann man überhaupt nicht sagen, ob es sich in diesem Fall um Vorsatz oder Fahrlässigkeit gehandelt hat«, resümierte Sanders. »Irgendjemand hat also die Rückwand des Schaufensters verschlossen. Wusste dieser Jemand, dass Kai Minnert auf diese Weise in Lebensgefahr gebracht werden konnte?«
»Sie glauben, es könnte ein dummer Scherz gewesen sein?«
Sanders nickte. »Minnert war genau der Typ, der sich mit besoffenem Kopf ins Schaufenster legt. Die andere Person hat ihn spaßeshalber eingeschlossen, um ihn am Morgen mit aller Peinlichkeit und einem riesigen Katerschädel mitten auf der Wilhelmstraße erwachen zu lassen.« Sanders nahm einen Schluck Kaffee. »Ich bin mir sogar ziemlich sicher, es war genau so.«
Wenckes Augenbrauen zogen sich skeptisch zusammen. »Sie wollen es glauben, nicht wahr? Es ist eine nette, tragische Unfallgeschichte, die keinen Schuldigen übrig lässt und uns eine Menge Arbeit erspart. Sanders, was ist eigentlich los mit Ihnen?«
Er sagte nichts, stattdessen drehte er eingeschnappt den Kopf zur Seite und schaute mit zusammengekniffenen Augen in Richtung Kurplatz.
»Korrigieren Sie mich, Sanders, aber das Einzige, was alle Zeugen und sogar Sie selbst übereinstimmend ausgesagt haben, war, dass Kai Minnert gestern gegen kurz nach neun den Inselabend verlassen hat und zu diesem Zeitpunkt für seine Verhältnisse auffällig nüchtern gewesen ist.«
»Das stimmt«, knurrte Sanders.
»Der Gute muss einen triftigen Grund gehabt haben, so früh zu verschwinden, da es sonst nicht seine Art gewesen ist, sich eine feuchtfröhliche Gesellschaft entgehen zu lassen. So weit richtig?«
»Hmm, ja.«
»Nehmen wir mal an, er ist direkt zum
Weitere Kostenlose Bücher