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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Laden gegangen, dann wird er gegen halb zehn dort angekommen sein. Laut Obduktionsbericht ist er breit wie tausend Russen zwischen zehn und elf in sein originelles Schlafgemach gestiegen.«
    »So ist es wohl gewesen.«
    »Sanders, hallo, sind Sie noch da?«, fragte Wencke und berührte ihren lethargischen Kollegen fest an der Schulter. »Wo bleibt Ihr sonst so messerscharfer Verstand?«
    Doch Sanders reagierte noch immer nicht.
    »Kai Minnert muss sich in ungefähr einer Stunde so richtig einen gekippt haben. Aus welchem Grund? Bitte, Sanders, aus welchem Grund verlässt ein Partykönig gut gelaunt und zurechnungsfähig das Fest des Jahres und betrinkt sich still und heimlich in seinem Kämmerlein?«
    Endlich wandte Sanders sich wieder zu ihr. Er sah müde aus, grau und schlapp wie durchnässte Pappe, doch es schien wieder in ihm zu arbeiten. Na also, dachte Wencke.
    »Er musste einen noch besseren Grund zum Feiern gehabt haben«, sagte Sanders endlich und schien sich am Sieg über seine Begriffsstutzigkeit zu erfreuen. »Und er wird diesen Grund nicht alleine begossen haben!«
    Wencke gab ihm feierlich die Hand. »Genau das denke ich auch, Kollege Sanders. Und wenn wir herausfinden, mit wem er sich getroffen hat und aus welchem Grund, dann sind wir ein ganzes Stück weiter.« Sie griff nach den beiden leeren Bechern und erhob sich von der Bank. Es konnte weitergehen, ja, da war wieder ein Gedanke, der formbar war, der sich einfügte in ein starres Gerüst aus Fakten und Vermutungen.
    Wenn es einen Grund zum Feiern gab, dann hatte ihnen bislang keiner der Zeugen davon erzählt. Und doch musste es einen Menschen geben, der davon wusste. Vielleicht war dieser Grund zum Feiern auch ein Grund zum Morden gewesen?
    Es war wieder so weit, das Blut rauschte durch Wenckes Gehirn und neue Gedanken machten sie schnell und agil und ein wenig atemlos. Sie war wieder in ihrem Element.
    Wen sollte sie fragen? Noch ein Besuch bei Henner Wortreich? Oder einem Geschäftspartner von Minnert? Immerhin hatte er mit Antiquitäten zu tun, da kannte er sicher eine Menge Leute, die seine Leidenschaft teilten und für die schon ein alter Teepott Grund genug für ein ausgiebiges Saufgelage gewesen wäre. Und dann eine Pointe, ein Witz zum Abschluss, eine unbedachte Wette oder sonst etwas, das Minnert veranlasst hat, in sein Schaufenster zu kriechen. Ja, so musste es gewesen sein. Wencke wartete vor der Polizeistation auf Sanders, der den Schlüssel in der Hand hielt und ebenfalls von der frischen Luft und den frischeren Ideen neuen Schwung bekommen zu haben schien.
    Vielleicht finden wir ja eine Spur, ein Motiv, einen Zeugen, manchmal braucht man doch auch einfach mal Glück, dachte Wencke. Vielleicht, vielleicht. Bislang hatte alles eher schleppend begonnen: wenig erfolgversprechende Aussagen, unklare Tatzeit, schwammige Motive. Es wäre gut, wenn sie diesen Fall schnell und gründlich zu Ende brachte. Eine makellos saubere Ermittlungsarbeit wäre gut für den Ruf ihrer gesamten Abteilung und für die Herren aus Hannover mit ihren Sparmaßnahmen. Und, daran ging kein Weg vorbei, auch für sie selbst wäre es gut. Ein bisschen Selbstbestätigung, Lobeshymnen und Schulterklopfen waren genau das, was sie zurzeit brauchte.

Samstag, 20. März, 14.59 Uhr
    A n manchen Tagen bekam Astrid ihren Mann gar nicht zu sehen. Es war, als lebten sie in Parallelwelten. Nur der hastig ausgespülte Kaffeebecher auf der Küchenablage und der starke Geruch seines teuren Rasierwassers im Bad waren Indizien dafür, dass sie tatsächlich zur selben Zeit am selben Ort existierten.
    Aus diesem Grund traf seine Gegenwart in ihrem Schlafzimmer sie mit voller Wucht. Gerrit lag schlafend in ihrem gemeinsamen Ehebett. Er umarmte die Decke, unter die er seit Jahren nicht mehr gekrochen war. Er war nackt. Seine gebräunte, immer noch jungenhaft weiche Haut hob sich vom hellen Blau der Bettwäsche ab und Astrid hätte bei diesem Anblick beinahe das Akkordeon fallen lassen, das sie hier im Schlafzimmer hatte verstecken wollen. An einem vermeintlich sicheren Ort. Was wollte er hier?
    Auf dem Nachttisch stand ein bauchiges Glas, in dem noch ein Rest Rotwein ruhte. Die leere Flasche des guten Dornfelder stand daneben auf dem Bettvorleger. Dabei trank Gerrit nicht. Normalerweise. Nur wenn er überfordert war, gestresst zum Beispiel, dann schüttete er eine übertriebene Menge Alkohol in sich hinein, legte sich hin und schlief. Als seine Mutter vor fünf Jahren bei einem Autounfall

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