Das Halsband der Königin - 3 (German Edition)
welchem die Concierge den Schlüssel des Gitters verwahrte.
Das war genug für ihn. Seine Gegenwart schien von keinem Nutzen mehr zu sein, und er nahm Abschied.
Er kehrte jedoch noch einmal um, wie die Theaterpersonen, die sich einen falschen Abgang machen, und sagte:
»Wie viel Leute sind auf dem Platz! Die ganze Menge drängt sich mit solchem Ungestüm nach dem Palaste zu, daß nicht eine Seele mehr auf dem Quai ist.«
Der Concierge beugte sich hinaus.
»Es ist wahr,« bestätigte er.
»Denkt man nicht,« fuhr der Abbé fort, als ob Frau von La Mothe ihn nicht hören könnte, – und sie hörte ihn sehr gut, – »glaubt man nicht, der Spruch werde in der Nacht gefällt werden? Nein, nicht wahr?«
»Ich denke nicht, daß das Urtheil vor morgen früh gesprochen wird,« sagte der Concierge.
»Nun wohl!« fügte der Abbé bei, »seien Sie bemüht, diese arme Frau von La Mothe ein wenig ruhen zu lassen. Nach so vielen Erschütterungen muß sie der Ruhe bedürfen.«
»Wir werden uns in unser Zimmer zurückziehen und Madame hier in dem Lehnstuhl lassen,« sagte der brave Concierge zu seiner Frau, »wenn sie sich nicht etwa zu Bette legen will.«
Jeanne erhob sich und begegnete dem Auge des Abbé, der auf ihre Antwort lauerte.
Sie stellte sich, als entschliefe sie wieder.
Da verschwand der Abbé, und der Concierge und seine Frau gingen auch weg, nachdem sie das Gitter wieder geschlossen und den Schlüssel an seinen Platz gelegt hatten.
Sobald Jeanne allein war, öffnete sie die Augen.
»Der Abbé räth mir, zu fliehen,« dachte sie. »Kann man mir klarer sowohl die Notwendigkeit der Flucht, als das Mittel hiezu bezeichnen? Man bedroht mich schon vor dem Richterspruch mit einer Verurteilung; das kann nur ein Freund thun, der mich antreibt, meine Freiheit zu suchen, nicht ein Barbar, der mich beleidigt.
»Um zu fliehen, brauche ich nur einen Schritt zu machen; ich öffne den Schrank, dann dieses Gitter, und bin auf dem verödeten Quai.
»Verödet, ja! ... Niemand; der Mond selbst verbirgt sich in den Wolken.
»Fliehen! ... Oh! die Freiheit! Das Glück, meine Reichthümer wiederzufinden ... das Glück, meinen Feinden zu vergelten, was sie mir gethan haben!«
Sie stürzte nach dem Schrank und ergriff den Schlüssel. Schon näherte sie sich dem Schlosse des Gitters.
Plötzlich glaubte sie auf der schwarzen Linie der Brüstung der Brücke eine schwarze Gestalt zu sehen, welche die eintönige Regelmäßigkeit unterbrach.
»Ein Mann ist dort im Schatten!« sagte sie; »der Abbé vielleicht: er wacht über meiner Flucht; er wartet, um mir Beistand zu leisten. Ja, doch wenn es eine Falle wäre, wenn ich, auf den Quai hinabgestiegen, ergriffen, auf der That der Entweichung ertappt würde? ... Die Entweichung, das ist das Geständnis; des Verbrechens, wenigstens das Zugeständniß der Furcht! Wer entweicht, flieht vor seinem Gewissen ... Woher kommt dieser Mensch? ... Er scheint mit Herrn von Provence in Verbindung zu stehen ... Wer sagt mir, daß er nicht ein Emissär der Königin oder der Rohan ist? ... Wie theuer würde man auf dieser Seite einen falschen Schritt von mir bezahlen ... Ja, es lauert Jemand dort!
»Mich ein paar Stunden vor dem Spruch fliehen lassen? Konnte man das nicht früher, wenn man mir wirklich dienen wollte? Mein Gott! wer weiß, ob meinen Feinden nicht schon die Kunde von meiner im Rathe der Richter beschlossenen Freisprechung zugekommen ist? wer weiß, ob man nicht diesen für die Königin furchtbaren Schlag mit einem Beweise oder einem Geständniß meiner Schuld pariren will? Geständniß und Beweis lägen in meiner Flucht. Ich werde bleiben!«
Von diesem Augenblick an war Jeanne überzeugt, sie sei einer Falle entgangen. Sie lächelte, richtete ihren schlauen, kühnen Kopf auf, ging mit sicherem Schritt auf den kleinen Schrank am Kamin zu und legte den Schlüssel des Gitters wieder hinein.
Dann setzte sie sich in den Lehnstuhl zwischen dem Licht und dem Fenster, und beobachtete von ferne, während sie sich schlafend stellte, den Schatten des lauernden Mannes, der, ohne Zweifel des Wartens müde, endlich aufstand und mit dem ersten Schimmer der Morgendämmerung, um halb drei Uhr, als das Auge das Wasser des Flusses zu unterscheiden anfing, verschwand.
XCIV.
Der Spruch.
Am Morgen, als alle Geräusche wieder erwachten, als Paris wieder Leben annahm und einen neuen Ring an den Kettenring des vorhergehenden Tages befestigte, hoffte die Gräfin, die Kunde von einer Freisprechung
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