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Das Harvard-Konzept

Das Harvard-Konzept

Titel: Das Harvard-Konzept Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Fisher
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bezahlen soll. Eine Auseinandersetzung wie die um die West-Sahara wird auch durch noch so genaue Erforschung der Geschichte und Geografie nicht geschlichtet. Und auch der Konflikt zwischen Indien und Pakistan wurde nicht durch irgendwelche Untersuchungen über die Entwicklung der nuklearen Einrichtungen beigelegt.
    So nützlich die Betrachtung der objektiven Wirklichkeit sein mag, letztlich wird das Problem bei Verhandlungen durch die Sichtweise beider Seiten bestimmt. Und das erst eröffnet den Weg zu einer Lösung.
    Versetzen Sie sich in die Lage der anderen
    Wie Sie die Welt sehen, hängt davon ab, wo Sie stehen. Menschen haben die Eigenart, nur das zu sehen, was sie sehen wollen. Aus einer Unmenge spezieller Informationen holen sie das heraus und versteifen sich darauf, was ihre früheren Vorstellungen bestärkt; was ihre Vorstellungen infrage stellt, lassen sie stattdessen außer acht oder deuten es falsch. Alle Beteiligten an einer Verhandlung sehen möglicherweise nur ihre eigenen Verdienste und die Fehler der anderen.
    So schwer es auch sein mag, die Fähigkeit, eine Situation auch von der anderen Seite her zu sehen, ist eine der wichtigsten Fertigkeiten für jeden, der verhandelt. Die Erkenntnis, dass die anderen die |49| Sache anders sehen, reicht nicht. Wenn Sie sie beeinflussen wollen, müssen Sie sich auch der Stärke dieses Standpunktes öffnen und die emotionale Macht erfühlen, mit der die Gegenseite daran hängt. Da hilft es nicht, sie wie Käfer unter dem Mikroskop zu studieren; Sie müssen wissen, wie ein Käfer fühlt. Darum sollten Sie imstande sein, Ihr Urteil für einige Zeit zurückzustellen und sich ganz der anderen Sicht zuzuwenden. Die anderen glauben nämlich genauso an ihren Standpunkt als den »richtigen« wie Sie an den Ihrigen. Auf Ihrem Tisch sehen Sie ein halb volles Glas kühlen Wassers. Für Ihren Ehepartner aber ist das nur ein dreckiges, halb leeres Glas, das auf der Tischplatte einen hässlichen Ring hinterlässt.
    Nachfolgend die unterschiedlichen Vorstellungen eines Mieters und seiner Vermieterin bei der Verhandlung über eine Änderung des Mietvertrags.
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    Den Standpunkt der Gegenseite zu verstehen heißt noch lange nicht, dass man damit einverstanden ist. Ein besseres Verständnis für das Denken des anderen kann mitunter auch Ihre eigene Sicht der Dinge verändern. Aber das ist nicht der Preis für das Verständnis des anderen Standpunktes, sondern der
Lohn
dafür. Denn dann schränken Sie den Konfliktbereich ein und es hilft Ihnen, Ihre eigenen Interessen neu abzuklären.
    Leiten Sie die Absichten anderer niemals aus Ihren eigenen Befürchtungen ab
    Wir Menschen neigen alle zu der Annahme, dass die Gegenseite immer das tut, was wir selbst befürchten. Eine Geschichte aus der
New York Times
vom 25. Dezember 1980: »Sie trafen sich in einer Bar, und er bot ihr an, sie heimzubringen. Er nahm ganz ungewöhnliche Wege und behauptete, es seien Abkürzungen. So schnell brachte er sie nach Hause, dass sie sogar noch die 10-Uhr-Nachrichten mitbekam.« Warum überrascht uns dieser Schluss so sehr? Weil uns unsere Befürchtungen vorher zu schlimmen Annahmen verleitet haben.
    Oft lesen wir einfach allzu leicht das Schlimmste in die Aktionen der Gegenseite hinein. Aus den eigenen Vorstellungen entsteht so oft genug zwangsläufig Argwohn. Mehr noch: Dieser Argwohn scheint uns sogar besondere »Sicherheit« zu geben; eventuelle Zuschauer sollten darüber hinaus auch noch erkennen, wie schlimm die Gegenseite wirklich ist. Aber der Preis für solche Deutungen besteht in der Verhinderung neuer Ideen, die auf eine Übereinkunft abzielen, und |51| im Verkennen oder Zurückweisen subtiler Positionsänderungen der Gegenseite.
    Schieben Sie die Schuld an Ihren eigenen Problemen nicht der Gegenseite zu
    Oft lässt man sich auch verführen, die Gegenseite für die eigenen Probleme verantwortlich zu machen. »Ihre Firma ist total unzuverlässig. Der Service hier an unserem Gerät ist miserabel, es gibt ständig Defekte.« Wir geraten alle leicht ins Schimpfen, besonders wenn wir merken, dass die Gegenseite tatsächlich verantwortlich ist. Aber selbst gerechtfertigte Tadel sind unproduktiv. Denn gegen die Vorwürfe muss sich die Gegenseite verteidigen und wir ihnen widersprechen. Sie wird dann kaum noch zuhören oder aber mit einem Gegenangriff zurückschlagen. Durch Schuldzuweisungen werden die menschliche und die sachliche Seite der Angelegenheit

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