Das Harvard-Konzept
völlig durchgearbeitet haben, ehe wir den Beamten treffen.« Der aber stimmt einer Abänderung der Vorschriften viel leichter zu, wenn er das Gefühl hat, dass er selbst daran mitwirkt. Dann nämlich sieht eine Revision eher wie ein kleiner Abschnitt einer langen Entwicklung aus, die er selbst mit seiner ursprünglichen Vorschrift eingeleitet hat, und nicht wie der Versuch, sein ganzes Werk kurz und klein zu hauen.
|54| In Südafrika versuchten vor einigen Jahren gemäßigte Weiße, die diskriminierenden Rassengesetze abzuschaffen. Aber wie gingen sie da vor? Sie bildeten einen aus Weißen bestehenden Parlamentsausschuss, der entsprechende Vorschläge beraten sollte. All das mag durchaus verdienstvoll gewesen sein, letztlich blieb es notwendigerweise unzureichend – nicht aufgrund der Inhalte, sondern weil die Ergebnisse aus einem Prozess stammten, in den Schwarze nicht einbezogen waren. Diese konnten das dann auch nur verstehen, als wollten die »Herren« damit ausdrücken: »Wir höherstehenden Weißen legen fest, wie man eure Probleme lösen muss.« Die »Last des weißen Mannes« war wieder da – das Problem, mit dem man hätte beginnen müssen.
Selbst wenn Bedingungen für eine Übereinkunft günstig scheinen, weist die Gegenseite sie möglicherweise zurück – weil der Ausschluss vom Entscheidungsprozess ganz einfach Misstrauen provoziert hat. Man verständigt sich viel leichter, wenn beide Seiten sich als Urheber der zugrunde liegenden Vorstellungen fühlen. Erteilen beide Seiten nach und nach der Entwicklung einer Lösung ihre Zustimmung, wird der gesamte Verhandlungsprozess fruchtbarer. Jede Kritik an den Bedingungen und jede erfolgte Änderung, jede Konzession ist ein persönliches Zeichen, das der Verhandelnde auf einem Lösungsvorschlag hinterlässt. Beide Seiten können sich dann im Ergebnis wiedererkennen.
Dazu muss man die Gegenseite aber frühzeitig einbinden. Holen Sie ihren Rat ein. Gehen Sie, wo immer möglich, auf ihre Ideen großzügig ein und beteiligen sie die anderen auch persönlich daran, die gewonnenen Vorstellungen gegenüber Dritten zu verteidigen. Sicher ist die Versuchung oft groß, sich die Verdienste selbst zuzuschreiben, aber hier zahlt sich Großzügigkeit eher aus. Neben den sachlichen Vorzügen ist das Gefühl einer Beteiligung am Entscheidungsprozess wohl der einzig wichtige Faktor bei der Entscheidung über die Annahme eines Vorschlags durch den Partner. In gewissem Sinn ist der Prozess das Ergebnis selbst.
|55| Das Gesicht wahren: Stimmen Sie Ihre Vorschläge auf das Wertsystem der anderen ab
Der Ausdruck »Das Gesicht wahren« hat einen leicht negativen Beigeschmack. Man sagt: »Wir machen das nur, damit er sein Gesicht wahren kann.« Und das bedeutet auch ein wenig heucheln. Der andere soll ohne schlechte Gefühle weitermachen können. Das Ganze hat einen etwas spöttischen Unterton.
Damit missversteht man aber sowohl die Funktion als auch die Wichtigkeit des »Gesicht-Wahrens«. Es spiegelt sich nämlich die Notwendigkeit darin, den Verhandlungsstandpunkt oder eine Vereinbarung mit den bisher in Worten und Taten verfochtenen Grundsätzen in Einklang zu bringen.
Der juristische Bereich kennt dasselbe Problem. Ein Richter muss bei der Begründung seiner Entscheidung nicht nur sein eigenes Gesicht und das des Rechtssystems wahren, sondern auch das der streitenden Parteien. Er sagt nicht zur einen Seite: »Sie haben gewonnen« und zur anderen: »Sie haben verloren«. Er erklärt vielmehr, inwiefern seine Entscheidung im Einklang steht mit den Rechtsgrundsätzen, den Gesetzen sowie früheren Entscheidungen. Er will nicht als willkürlicher Mensch erscheinen, sondern als jemand, der sich an die Regeln hält. In einer Verhandlung ist das nicht anders.
Oft beharren die Verhandlungspartner auf ihren Positionen nicht deshalb, weil der Gegenvorschlag inakzeptabel ist, sondern weil sie gegenüber der Gegenseite das Gefühl des Klein-Beigebens vermeiden wollen. Kann man jedoch die Sachlage so umformulieren und begrifflich fassen, dass es nach einem fairen Ergebnis aussieht, dann wird eine Übereinkunft zustande kommen. Ein Beispiel: Die zwischen einer Großstadt und der Landesregierung vereinbarten Bedingungen erwiesen sich für den Bürgermeister der Stadt solange als unannehmbar, bis die Übereinkunft zurückgenommen wurde und man dem Stadtoberhaupt zugestand, dieselben Bedingungen als seine eigene hart erstrittene Entscheidung hinzustellen.
Das Gesicht zu wahren bedeutet
Weitere Kostenlose Bücher