Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
gestern oder vorgestern noch das reife Korn geleuchtet hatte, waren in schwarzbraunes Ödland verwandelt, über dem bitterer Brandgeruch lag.
»Der Brunnen ist auch verseucht, Herr«, berichtete ein zahnloses altes Weib. »Sie haben unser Vieh abgeschlachtet und die Kadaver hineingeworfen. Wer von dem Wasser trinkt, wird krank und stirbt.«
Otto nickte wortlos. Nicht alle Kadaver waren im Brunnen gelandet, eine magere Ziege lag mit durchtrennter Kehle vor den Hufen seines Pferdes, das nervös den Kopf zur Seite riss, als hoffe es, dem Geruch nach Blut und Verwesung so zu entgehen.
Otto nahm die Zügel kürzer. »Und was ist mit den übrigen Leuten?«, fragte er die Gevatterin. Nur ein halbes Dutzend Greise mit einigen sehr kleinen Kindern hatten sich am Brunnen eingefunden.
Die Alte schüttelte den Kopf. »Die Männer haben sie zusammengepfercht, und über die Frauen haben sie sich hergemacht. Dann haben sie alle, die laufen konnten, in den Wald getrieben. Keiner ist bisher zurückgekommen. Ob sie sie getötet oder in die Sklaverei verkauft haben oder ob unseren Söhnen und Töchtern die Flucht zum Kloster geglückt ist, weiß ich nicht, Herr.«
»Er ist der König, Weib«, schnauzte Udo.
Die Alte wollte sich in den Staub knien, aber man konnte sehen, wie steif ihre Glieder waren, wie müde die Knochen am Ende eines Lebens schwerer Arbeit. Otto winkte ab. »Schon gut, Mütterchen.«
Sie ließ es sich indes nicht nehmen, vor ihm zu knicksen. »Gott schütze Euch.«
»Und sag mir, das hat Prinz Thankmar getan?«, fragte er mit einer Geste, die die ganze Verwüstung umschloss. Bitte nicht, Gott. Bitte, lass sie nein sagen .
Gott erhörte ihn. »Graf Wichmann, mein König«, antwortete der hagere Mann an ihrer Seite, dessen Gesicht so runzelig war wie ein Winterapfel, und der noch einen Zahn sein Eigen nannte. »Oder jedenfalls nannten seine Männer ihn so.«
Otto löste den kleinen Lederbeutel von seinem Gürtel und warf ihn der alten Frau zu. »Kauft neues Vieh und Mehl und Saatgut davon.« Aber er wusste, wenn die jungen Leute nicht zurückkamen, um die Hütten wieder aufzubauen, einen neuen Brunnen zu graben und die Felder zu bestellen, würde hier niemand den nächsten Winter überleben.
Sie verneigten sich ehrfürchtig und dankten ihm, und noch ehe Otto sein Pferd wendete, umringten sie die Alte, die sein Geld in die Hand geschüttet hatte und zählte.
»Hardwin«, sagte der König über die Schulter.
Der junge Kommandant der Panzerreiter war der Sohn des Grafen vom Liesgau und hatte sich auf dem Redarierfeldzug vor eineinhalb Jahren mit großer Tapferkeit hervorgetan. »Mein König?«
»Formiert Eure Männer zum Angriff. Wir reiten auf die Eresburg, und wenn ich das Tor mit meinen Händen einreißen muss.«
»Wie Ihr befehlt«, antwortete Hardwin und ließ sich zurückfallen, um die Order weiterzugeben.
Die Männer fürchten sich vor ihrem König, wenn er in Wut geriet, behauptete Thankmar gern. Otto hatte keine Ahnung, ob das stimmte. Falls ja, verstand er den Grund nicht, denn er hatte noch nie die Hand oder gar die Klinge im Zorn gegen einen seiner Männer erhoben. Doch heute war sein Zorn so übermächtig, dass er Mühe hatte, ihn zu beherrschen. Dass Wichmann Billung so etwas anrichten konnte. Dass ein sächsischer Graf sächsische Bauern abschlachtete, nur um seinem König seinen Unmut kundzutun. Und dass Thankmar das zuließ. Vielleicht in den Dörfern, die er überfallen hatte, ebenso gewütet hatte … All das machte den König so zornig, dass er auf der Stelle jemanden wollte, den er es büßen lassen konnte. Er schlug den Pfad nach Südwesten ein und galoppierte an.
Seine Panzerreiter hatten ihre liebe Mühe, ihn einzuholen. Doch ehe sie in Sichtweite der Eresburg kamen, hatten sie aufgeschlossen. Hörner erschollen, die Banner flatterten in der Morgensonne, und die Erde erbebte unter den Hufen, als sie einen sachten Hang hinab durch hohes Gras ins Tal vor dem Burghügel preschten. Doch hier fand ihr Sturm ein jähes Ende: Höher, vor allem schroffer, als Otto geahnt hatte, ragte der Tafelberg der Eresburg aus dem Diemeltal auf. Nur ein schmaler, sehr steiler Pfad schraubte sich zwischen Gesträuch und Schösslingen den Hügel hinauf. Kaum breit genug für einen Rammbock und die zwei Reihen Männer, die nötig gewesen wären, um ihn zu schwingen. Ganz abgesehen davon, dass es unmöglich schien, solch schweres Gerät einen so steilen Hügel hinaufzuschaffen.
»Da, seht«, murmelte
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