Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
die Ellbogen auf die Tischplatte und das Kinn auf die Fäuste. »Wenn ich ›nein‹ antwortete, würdet Ihr sagen, dass ich mir das nur selbst zuzuschreiben habe, nicht wahr?«
»Vermutlich ja.«
»Ich bin nicht erpicht darauf, es zu hören, denn es würde mir nur aufs Neue vergegenwärtigen, wie skrupellos Ihr die Augen vor den Tatsachen verschließt, wenn es Euren Absichten dient.«
»Tugomir!«, rief Widukind erschrocken aus.
Aber der ignorierte ihn. »Ihr glaubt, Ihr habt das Recht, die slawischen Völker zu unterwerfen. Ihr glaubt, Ihr braucht Gero, um dieses Ziel zu erreichen. Und weil Ihr diese beiden Dinge glaubt, weigert Ihr Euch, zur Kenntnis zu nehmen, was für ein Mensch er ist. Ich weiß, dass Ihr ein Gewissen habt, aber Ihr seid davon überzeugt, dass Eure Zwecke jedes Mittel heiligen, weil Euer Gott Euch auserwählt hat.«
»Bist du bald fertig?«, knurrte Otto.
»Noch nicht ganz. Diese Eigenart, diese Neigung, rücksichtslos Euer Ziel zu verfolgen, egal, was es andere kostet, hat Thankmar in die Rebellion getrieben. Und das bringt mich zu meiner zweiten Antwortmöglichkeit. Was, wenn ich sage, ja, ich kann reiten? Dann werdet Ihr mich mit in Euren Krieg gegen Euren Bruder schleifen, nicht wahr? Um mich in irgendeiner Form für Eure Zwecke zu benutzen, obwohl das das Letzte ist, was ich will, denn Thankmar hat recht daran getan, sich gegen Euch zu erheben.« Er richtete sich auf und breitete kurz die Hände aus. »Sagt mir, König Otto, was soll ich Euch antworten?«
Judith nahm lange genug den Ärmel vom Gesicht, um ihn anzufauchen: »Du warst anscheinend noch viel zu kurz eingekerkert, du unverschämter …«
»Schsch«, unterbrach die Königin und legte ihr die Hand auf den Arm.
Aber Judith wollte sich nicht beruhigen. »Mein armer Gemahl wird von seinen Feinden gefangen gehalten, und ich soll hier sittsam schweigen und den ungeheuerlichen Lügen dieses heidnischen Teufels lauschen?«
»Es waren keine Lügen, fürchte ich«, widersprach der König. »Er sagt die Wahrheit.«
» Was ?«, rief Judith.
Aber Tugomir hob abwehrend die Linke. »Damit werdet Ihr mich nicht kriegen«, warnte er Otto. »Auch Eure Fehler einzugestehen, wenn man am wenigsten damit rechnet, gehört zu Euren Taktiken. Doch es nützt nie etwas, weil Ihr anschließend genauso weitermacht wie vorher und sagt, ›Es ist zum Wohle des Reiches‹.«
Otto seufzte leise. »Ich habe immer noch die Hoffnung, dich eines Tages davon zu überzeugen, dass es so ist. Und nun frage ich dich noch einmal, Tugomir: Kannst du reiten?«
Natürlich konnte er reiten. Der Knochenbruch war längst verheilt, und bis auf eine leichte Steifheit im Knöchelgelenk hatte er keine Beschwerden mehr. Er nickte knapp. »Aber ich will nicht in Euren Krieg gegen Euren Bruder reiten.«
»Das verlange ich ja auch gar nicht. Du wirst als Wundarzt für meine Truppen mit uns nach Westfalen ziehen.«
Wem willst du das weismachen, dachte Tugomir unbehaglich, aber er sträubte sich nicht länger. »Meinetwegen.«
Otto atmete tief durch.
»Wann?«, fragte Tugomir.
»In einer Stunde. Wenn du zu deinem Haus gehst, wirst du feststellen, dass dort alles an Ausrüstung bereitliegt, was du brauchst. Auch dein Schwert.«
Tugomir war schon im Begriff, sich zu erheben, aber bei dem Wort erstarrte er. » Mein Schwert?«
Otto sah ihm in die Augen, und plötzlich lächelte er. »Ich habe es neun Jahre für dich aufgehoben, um es dir eines Tages zurückgeben zu können.«
Tugomir stand auf. »Wie ich sagte: Ich ziehe nicht für Euch in den Krieg.«
»Trag es trotzdem. Es wäre bedauerlich, wenn einer von Eberhards fränkischen Halunken dich erschlägt, eh du ihm erklären kannst, dass du eine unbewaffnete Geisel bist.«
»Auch wieder wahr«, musste Tugomir einräumen. »Eine Stunde ist kaum genug Zeit, um alles an Verbandsmaterial und Kräutern und so weiter zusammenzutragen, was ich mitnehmen will.«
»Dann schlage ich vor, du beeilst dich.«
Eresburg, Juli 938
Thankmar erwachte mit einem unangenehm pelzigen Gefühl auf der Zunge, aber ausnahmsweise ohne Brummschädel. Er schlug die Lider auf und wandte den Kopf nach links. Die Blonde mit den unglaublichen Titten. Ihr Name war Erentrudis, erinnerte er sich. Er drehte den Kopf zur anderen Seite. Hilda. Die Dunkelhaarige mit dem feurigen Temperament. Beide schlummerten selig, und Hildas Hand lag auf seiner Brust, ihr Knie auf seinem Oberschenkel.
Er befreite sich behutsam und stand auf, trat ans Fenster und
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