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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Pfalz?«
    »Die Halle des Königs, du kleiner Dummkopf, mit all ihren Nebengebäuden und Soldatenquartieren.«
    »Und warum …«
    Aber Tugomir legte einen Finger an die Lippen, und Semela verstummte.
    Genau wie die Pfalz erschien Tugomir auch der Tempel schäbig, klein und lieblos zusammengezimmert. Eines Königs ganz und gar unwürdig. Aber er hatte inzwischen herausgefunden, dass König Heinrich hier gar nicht seinen Hauptsitz hatte. Genau genommen wohnten der König und die Seinen nirgends, sondern zogen kreuz und quer durch sein riesiges Königreich: bis über den Strom Maas im Westen, bis ans Meer im Norden, bis in die Berge im Süden und bis an die Elbe im Osten – oder neuerdings auch gern darüber hinaus. Und der König regierte gewissermaßen vom Sattel aus. Überall in diesem unüberschaubaren Machtgebiet verteilt lagen seine Pfalzen, und er weilte mal in dieser, mal in jener oder beglückte einen seiner Herzöge oder Grafen mit einem ausgedehnten Besuch. Kein Wunder, dass sie sich gelegentlich gegen ihn erhoben …
    Die Wände des aus Holz erbauten Tempels waren mit Lehm oder irgendetwas in der Art geglättet, auf den bunte Bilder gemalt waren: Immer wieder war darauf derselbe Mann zu sehen, der meist mit ausgebreiteten Armen in der Gegend herumzustehen schien.
    »Wo sind ihre Götterstandbilder?«, fragte Semela flüsternd.
    Tugomir schüttelte ratlos den Kopf und trat an den langen Tisch am Ostende, wo, so sagte ihm sein Priesterinstinkt, das spirituelle Zentrum des Tempels lag. Ein Opferaltar, vermutete er. Aber wenn sie hier opferten, warum legten sie dann ein kostbar besticktes Tuch auf ihren Altar?
    »Das wird immer merkwürdiger, Semela«, raunte er. »Diese Sachsen sind noch viel verrückter, als ich dachte. Man könnte meinen …«
    »He! Was habt ihr hier verloren, ihr verlausten heidnischen Schweine?«, rief eine Stimme hinter ihnen, und die beiden jungen Slawen fuhren herum.
    Tugomirs Gehör hatte ihn nicht getrogen: Es war Gero. Auch Semela erkannte den Schlächter wieder, der seinen Vater und alle übrigen Daleminzer ermordet hatte, und seine Augen wurden riesig und starr. Er gab ein leises Stöhnen von sich, das Furcht ebenso wie Jammer ausdrückte.
    Tugomir trat einen halben Schritt vor und stellte sich damit unauffällig vor den Jungen. »Wir wollten einen Blick auf euren Tempel werfen«, erwiderte er. »Ich hörte, euer Gott empfange jeden mit offenen Armen.«
    Sein Hohn schien Gero zu entgehen. »Nur jene, die reinen Herzens und in Demut zu ihm kommen. Alle anderen, vor allem heidnische Götzenpriester wie dich, fürchte ich, erwartet die ewige Verdammnis, wenn sie diese Welt verlassen, der feurige Schlund und die Martern der Hölle auf immerdar.«
    Tugomir nickte versonnen. »Wenn du das wirklich glaubst, fragt man sich, warum du selbst so wenig Demut und Reinheit des Herzens besitzt. Denn selbst ein sächsischer Grafensohn lebt nicht ewig.«
    Der junge Kommandant packte ihn beim Oberarm. »Pass lieber auf, was du sagst.«
    »Wieso?«, konterte Tugomir, das spöttische Lächeln plötzlich wie weggewischt. »Was, denkst du, könnte mich noch schrecken?« Und mit einem Mal hörte er Annos Worte, so deutlich, als stünde sein blinder Freund hier an seiner Seite: Glaubst du denn wirklich, es gäbe irgendetwas an diesem Dasein, das ich nicht gern zurückließe?
    »Oh, da würde mir allerhand einfallen«, entgegnete Gero, und seine Stimme klang seltsam gepresst. Er zog den slawischen Gefangenen mit einem Ruck näher. »Ich kann praktisch alles mit dir tun, was mir Spaß macht, weißt du. Oder mit dem Bengel hier …«
    Tugomir tastete hinter sich und versetzte Semela einen kleinen Schubs. »Verschwinde«, raunte er über die Schulter, und so viel Autorität lag in diesem einen Wort, dass der sonst so verwegene und stets ungehorsame Junge zwei Schritte zur Seite wich, ohne Gero aus den Augen zu lassen, dann kehrtmachte und davonstob.
    Gero schnaubte belustigt. »Wenn ich ihn haben will, brauch ich nur nach ihm zu schicken.«
    »Aber warum solltest du das wollen?«, fragte Tugomir. »Es sei denn, du hättest eine Vorliebe für Knaben …«
    Er sah überhaupt nicht, dass Gero sich bewegte, aber die Faust, die in seinem Magen landete, war mit Kraft geführt. Tugomir krümmte sich keuchend, wankte zur Seite, soweit Geros Klammergriff es zuließ, und stützte sich auf den Altar mit dem feinen, goldbestickten Tuch. Dann wandte er blitzschnell den Kopf, denn er wusste, dass Gero noch nicht

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