Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
aus.
Der Mönch nickte mit einem Seufzer, der so tief war, dass seine Brust sichtlich erbebte.
»Irgendein Geheimnis verbirgt sich dahinter«, bemerkte Tugomir. »Irgendetwas, das Otto die Hände bindet. Ich weiß nicht, was es ist. Aber ich denke, Vater Widukind weiß es.«
Der schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Deine Schwester. Ich nicht. Frag sie bei Gelegenheit einmal danach. Du wirst feststellen, dass du ebenso gut einen Stein fragen könntest. Setz dich zu uns, Bruder. Du kannst uns den vermutlich traurigen Rest der Geschichte bei einem Becher Met erzählen.«
Sie saßen hinter Tugomirs Haus auf der Wiese. Es war ein warmer Tag, aber allmählich zog der Himmel sich zu, und es sah nach Regen aus.
Waldered folgte der Einladung, erwiderte jedoch: »Noch ist offen, wie diese Geschichte ausgeht. Prinz Henning ist natürlich zurück nach Lothringen geflohen, wie nicht anders zu erwarten war. Welche Art von Unheil er dort zu stiften gedenkt, weiß Gott allein.«
»Womöglich weiß die Königinmutter mehr darüber als Gott«, spöttelte Tugomir.
»Gott weiß alle Dinge über alle Dinge, das habe ich dir schon Dutzende Male erklärt«, widersprach Widukind gereizt. Er hob einen belehrenden Zeigefinger und schien es nicht einmal zu bemerken.
»Natürlich«, gab Tugomir tröstend zurück. »Aber je mehr du dich über meine Fehltritte erregst, desto größer ist die Versuchung.«
»Ziemlich aufsässig für einen Täufling«, bemerkte Waldered grinsend.
Tugomir hob die tätowierte Linke zu einer abwehrenden Geste. »Ich habe euch gesagt, ich war noch nicht so weit.«
»Ja, aber wenn du auf den Tag hättest warten wollen, da du dich bereit fühlst, wärst du als Heide gestorben«, gab der Mönch zurück, der selbst ein ewiger Zweifler war.
Während der Ostervigil – in der Nacht vor dem Sonntag, da die Auferstehung des gekreuzigten Christus gefeiert wurde – hatte Tugomir die Taufe empfangen. Er hätte lieber noch gewartet. Es stimmte nicht, was Waldered sagte, er hatte sich nicht vor dem Übertritt zu seinem neuen Gott gefürchtet und es deswegen aufschieben wollen, denn er wusste, dass er diese Brücke überschreiten musste. Er war nur noch nicht ganz bereit gewesen. Damit kannte er sich nun wirklich aus, denn in den Jahren als Priesterschüler hatte er gelernt, selber zu erkennen, wann er den nächsten Schritt gehen musste, und sich auf sein eigenes Urteil zu verlassen. Nur einmal hatte er sich drängen lassen: in der Nacht, da die Brandenburg gefallen war und Schedrag zu ihm gesagt hatte, der Vollzug des Opfers sei seine letzte Prüfung. Tugomir hatte geahnt, dass das nicht stimmte, doch er hatte auf Schedrag gehört und war prompt gescheitert. Anno zu töten war die falsche Entscheidung gewesen.
Dieses Mal hatten ihn alle gedrängt. Otto und Editha, die ganz übermütig vor Freude gewesen waren, als sie erfuhren, dass Tugomir sich zum christlichen Glauben bekennen wollte. Von einem Moment zum nächsten hatte die Königin ihre Reserviertheit ihm gegenüber aufgegeben. Und der König hatte ihn wie einen lange entbehrten Bruder an die Brust gedrückt und verkündet, kein Geringerer als der Erzbischof von Mainz solle Tugomir taufen, wenn er zu den Osterfeierlichkeiten an den Hof kam.
Widukind und Bruder Waldered hatten Tugomir ebenso zugesetzt. Und sogar Egvina, die seit Thankmars Tod ein zurückgezogenes Dasein führte, sich nur ihrer Tochter widmete und sich kaum bei offiziellen Anlässen zeigte oder Anteil am Hofleben nahm. Alle hatten ihn gedrängt, nicht zu zögern. Zu guter Letzt waren Semela und Rada damit herausgerückt, dass sie sich schon vor einem Jahr heimlich hatten taufen lassen, aber nicht gewagt hatten, es ihm zu sagen, aus Furcht, er werde sie aus dem Haus jagen. Jetzt behandelten sie ihn, als sei er von einer langen Krankheit genesen. Nichts von alldem hätte Tugomir dazu verleiten können, den entscheidenden Schritt zu tun, ehe er so weit war, wäre die Vila nicht gewesen. Tu es jetzt . Sie hatte ihm keine Gründe genannt, aber selten hatte sie ihm eindringlicher geraten: nicht nächstes Jahr, nicht nächsten Monat, sondern jetzt.
Also hatte er es getan.
»Wie dem auch sei«, bemerkte Vater Widukind und trank einen Schluck. »Ein halber Heide ist er immer noch.«
»So wie die meisten Sachsen«, konterte Tugomir.
»Dem kann ich nicht widersprechen«, musste der Geistliche zugeben. »Sie glauben an Jesus Christus, aber ebenso an die alten Götter, an Feen, Geister, was weiß ich.
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