Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Genau wie du.«
Tugomir verdrehte die Augen. »An Geister muss man nicht glauben , Widukind. Sie sind allgegenwärtig, in allen Dingen, und wir alle erfahren das ungezählte Male jeden Tag. Es sei denn, wir weigern uns, es wahrzunehmen, so wie du.«
»Aberglaube«, knurrte Widukind.
»Tatsächlich? Das ist wirklich seltsam, weißt du. Wie heißt es doch gleich wieder in der Bibel? Am Abend aber brachten sie viele Besessene zu ihm, und er trieb die Geister aus mit Worten und machte allerlei Kranke gesund . Jesus Christus verstand sich auf Geister, so wie jeder Heiler es muss. Und du nennst es Aberglaube?«
Widukind wandte sich hilfesuchend an Waldered. »Das macht er andauernd . Jedes Mal, wenn ich ihm einen seiner Irrtümer vor Augen führen will, widerspricht er mir mit einer Bibelstelle. Dabei kann er nicht einmal lesen. Aber ich schwöre, manchmal glaube ich, er kennt das Wort des Herrn besser als ich. Wenn ich das geahnt hätte, bevor der König mir die ehrenvolle Aufgabe übertrug, Prinz Tugomir auf seine Taufe vorzubereiten, hätte ich eine Ausrede erfunden.«
Tugomir und der Mönch lachten über seine komische Verzweiflung, als Rada um das Haus herum auf sie zu kam.
»Oh, das trifft sich gut«, sagte Vater Widukind. »Ob du mir noch einen Schluck von eurem köstlichen Met bringen könntest, Rada? Ich brauche Stärkung …«
Sie nickte abwesend. »Sofort, Vater.« Aber es war Tugomir, den sie anschaute.
»Entschuldigt mich einen Moment«, bat er die beiden Gottesmänner, stand von dem Baumstamm auf, der ihnen als Sitzbank diente, und folgte der jungen Frau zur Tür. »Was ist passiert?«
»Komm mit ins Haus, Prinz«, flüsterte sie, und ihr Blick glitt zurück zu seinen Gästen, die ihr plötzlich Angst zu machen schienen.
Ohne ein weiteres Wort folgte Tugomir ihr hinein.
Im dämmrigen Innern fand er einen Fremden, der gekrümmt auf dem Schemel am Herd kauerte, anscheinend nicht in der Lage, sich aufrecht zu halten. Semela stützte seine Schultern und hielt einen Becher in der Hand. »Er hat viel Blut verloren, glaub ich. Keine Ahnung, wie er es geschafft hat, sich in die Pfalz zu schleichen. Dein Name war das Einzige, was ich bis jetzt aus ihm herausbekommen habe.«
Tugomir trat näher, hockte sich vor den Unbekannten mit dem unordentlichen, verschwitzten Schopf und hob sein Kinn an. Er musste einen Moment überlegen, dann fiel der Name ihm ein. »Dervan.«
Der sah ihn blinzelnd an. »Die Götter seien gepriesen. Ich … ich hab’s geschafft. Ich hab dich gefunden.«
Tugomir nickte Semela zu. »Legen wir ihn aufs Bett.«
»Nein, wartet«, murmelte Dervan und hob abwehrend die Hand. »Es ist nicht so schlimm, Prinz. Ich bin nur … völlig erledigt.«
»Wie schlimm es ist, werde ich entscheiden«, entgegnete Tugomir. Aber er erkannte, was den jungen Mann am schlimmsten quälte. »Rada, sei so gut, bring ihm eine Schale Eintopf und einen Becher Wasser. Kein Met fürs Erste.«
»Wo kommst du her, Dervan?«, fragte Semela. »Wo warst du all die Zeit? Sie haben uns weisgemacht, du seist abgehauen und ertrunken, als du die Elbe durchschwimmen wolltest.«
Der junge Daleminzer, den Tugomir zusammen mit seinen Leidensgenossen aus seinem jammervollen Sklavendasein in Geros Haus befreit hatte, warf dem Prinzen einen flackernden Blick zu und senkte den Kopf dann wieder.
»Lass ihm Zeit«, mahnte Tugomir seinen Gehilfen.
Rada brachte Eintopf und Wasser, und dann schauten sie schweigend zu, während Dervan seinen bohrenden Hunger stillte. Als er aufgegessen hatte, zog Tugomir ihm das Obergewand aus, dem man ansehen konnte, dass es eine abenteuerliche Reise hinter sich hatte. Es war zerrissen und mit Dreck und Blut besudelt. Tugomir enthüllte einen unfachmännischen, blutgetränkten Verband an der linken Schulter und darunter eine Pfeilwunde.
»Ich hab ihn selbst rausgezogen«, berichtete Dervan. Seine Stimme klang schon ein bisschen kräftiger. »Ist es brandig?«
Tugomir schüttelte den Kopf. »Wann ist es passiert?«
»Vor drei Tagen.«
»Ich schätze, dann bist du außer Gefahr.«
Dervan nickte, als sei diese gute Nachricht nur von mäßigem Interesse.
»Warum bist du zurückgekommen?«, fragte Tugomir schließlich.
»Weil irgendwer dir erzählen muss, was passiert ist, und außer mir ist keiner übrig.«
Rada sah von Dervan zu Tugomir, der seine bösen Vorahnungen in ihren Augen widergespiegelt fand. Es war still, während der Prinz einen sauberen Leinenstreifen aus seinem Vorrat holte
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