Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
dann überlege. Aber mein Plan kann nur aufgehen, wenn Otto König bleibt. Um König zu bleiben, muss er seinen Krieg im Westen gewinnen. Und das kann er nur, wenn er nicht ständig nach Hause hetzen muss, um Sachsen gegen die Obodriten zu verteidigen. Ein halbes Jahr, Ratibor, das ist alles, worum ich dich bitte. Wenn Otto seine Feinde im Westen nicht bis zum Frühjahr in die Knie gezwungen hat, wird er es niemals schaffen. Gewährst du ihm bis zum Frühjahr Aufschub, bist du herzlich auf der Brandenburg willkommen, wo ich dich von deinem Augenleiden befreien werde, wenn ich kann.«
»Warum auf der Brandenburg? Wieso nicht hier?«
»Weil deine Priester mich töten würden, wenn es schiefgeht.«
»Hm«, brummte der Obodritenfürst. »Das ist wahr.« Er schaute eine Weile aufs Meer hinaus. Dann fragte er unvermittelt: »Was ist eigentlich mit deiner Schwester? Mein Vater wollte einmal, dass ich sie heirate. Damals wurde mir ganz schlecht bei dem Gedanken, aber heute …« Er hob grinsend die Schultern.
Tugomir war geneigt, seinen Ohren zu misstrauen. »Das ist ein unerwartetes Angebot von dem Mann, der mir vor zwei Stunden noch die Kehle durchschneiden wollte.«
»Oh, komm schon«, widersprach Ratibor wegwerfend. »Wenn ich es wirklich gewollt hätte, hätte ich es getan.«
Das hättest du, wäre ich dir nicht mit einem unwiderstehlichen Angebot zuvorgekommen , dachte Tugomir. Aber er sagte lediglich: »Meine Schwester ist vergeben, fürchte ich. Sie ist die Frau des Bischofs.«
Ratibor schüttelte ungläubig den Kopf. »Du hast aber auch wirklich an alles gedacht, he? Ich hätte noch eine unverheiratete Schwester, aber du hast ein Weib. Was wollen wir tun, um unser Abkommen zu besiegeln?«
Abkommen . Da war es, das Wort, welches hier zu hören Tugomir kaum noch zu hoffen gewagt hatte.
»Ah, ich weiß schon!« Ratibor sprang auf. »Wenn die Zeit kommt, sollte dein Sohn meine Tochter zur Frau nehmen. Oder umgekehrt.«
Tugomir erhob sich ebenfalls. »Dann heirate und zeuge einen Sohn oder eine Tochter, bevor du dich – oder besser gesagt, dein Auge – in meine Hände begibst. Sicher ist sicher.«
Breisach, September 939
»Diese Festung ist einfach uneinnehmbar, mein König«, erklärte Graf Odefried ungeduldig.
»Das hat man von der Brandenburg und der Eresburg auch gesagt, und doch hat der König sie beide genommen«, widersprach der Herzog von Schwaben.
»Keine Festung ist uneinnehmbar«, pflichtete Graf Manfried ihm bei. »Wenn die Belagerer die nötige Entschlossenheit haben. Von Mut und dem nötigen Willen sprechen wir vielleicht lieber nicht …«
Otto mahnte ihn mit einem Stirnrunzeln zur Mäßigung, äußerte sich aber nicht.
Durch den Eingang seines Zeltes sah er hinaus in den unablässigen Regen, der einen so undurchdringlichen Schleier bildete, dass man die Burg auf ihrer Felseninsel im Rhein kaum noch ausmachen konnte. Es regnete seit einer Woche, und es war viel zu kalt für September. Und das Wetter war nicht der einzige Grund, warum seine Männer allmählich die Lust an dieser Belagerung verloren.
Tag für Tag setzten sie mit Booten über und rannten sich an der Palisade und am Tor der Festung die Schädel ein, während Eberhards Truppen sie von oben mit allem bewarfen und überschütteten, was einen Mann verletzen oder töten konnte – notfalls auch mit Bienenkörben, wie der bedauernswerte Udo leidvoll erfahren hatte …
»Es ist eine elende Schinderei«, musste selbst der kampflustige Manfried zugeben. »Und aufgrund der Lage der Burg können wir nicht mit völliger Sicherheit ausschließen, dass das eine oder andere Versorgungsboot bei Nacht dort festmacht. Aber wir können sie trotzdem aushungern. Es dauert eben nur ein wenig länger.«
Manfried hatte recht, und das wusste natürlich auch Eberhard von Franken. Blieb zu hoffen, dass er Vernunft annehmen und sich ergeben würde.
»Es kann Monate dauern!«, ereiferte sich Odefried. »Wir sitzen hier fest und belagern diesen verfluchten Felsbrocken, während unsere Feinde Gott weiß was anstellen …« Er brach ab und ballte die Fäuste, um sich am Weiterreden zu hindern.
»Feinde ist gut«, höhnte Wichmann Billung. »Euer eigener Sohn reitet an Prinz Hennings Seite!«
Odefrieds Sohn, Hildger von Iburg, zählte in der Tat zu Hennings engsten Vertrauten, doch hatte Otto bislang keinen Anlass gehabt, an der Loyalität des Grafen vom Nethegau zu zweifeln. »Hildger hat seine Wahl getroffen genau wie mein Bruder«, sagte der
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