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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Messer von Tugomirs Kehle.
    Der Hevellerfürst wandte sich zu ihm um. »Draschko hat nichts gesagt. Ich habe es erraten, weil du lichtscheu bist und häufig blinzelst.«
    Ratibor wandte beschämt den Kopf ab. »Dann wird es nicht mehr lange dauern, bis andere es auch merken.« Mit einem ergebenen Achselzucken schaute er ihn wieder an. »Tja, Fürst Tugomir. Meine Tage sind gezählt.«
    »So wie die meinen und die eines jeden Menschen«, gab Tugomir zurück. »Aber du musst nicht erblinden. Nicht zwangsläufig, meine ich. Ich kann dein Auge von diesem Schleier befreien, vorausgesetzt, ich falle nicht der Blutgier deiner Priesterschaft anheim.«
    Ratibor starrte ihn an – sprachlos. Seine Hände steuerten das Boot mit Geschick, aber er achtete gar nicht darauf, was sie taten. »Bist du … ein Heiler?«, fragte er schließlich.
    Tugomir nickte.
    »Oh, barmherziger Jesus, soll es möglich sein, dass du mein Flehen erhört hast?«, murmelte Ratibor.
    »Ich schlage vor, du sparst dir dein Dankgebet, bis wir den Eingriff hinter uns haben.«
    »Ist er schmerzhaft?«
    Tugomir grinste. »Sehr.«
    »Und schiefgehen kann es auch, nehme ich an?«
    Der Heiler nickte mit Nachdruck. »Du kannst blind werden, wenn ich einen Fehler mache, und du kannst sterben, egal ob ich einen Fehler oder alles richtig mache.«
    »Wie geht das vonstatten?«
    »Ich muss mit einer Nadel in dein Auge stechen.«
    Ratibor zuckte nicht mit der Wimper. »Hast du das schon oft getan?«
    »Oft genug.« Er war nicht sicher, ob Ratibor die vier Mal, da Tugomir diesen Stich vorgenommen hatte, als »oft genug« ansehen würde, aber es führte ja zu nichts, die Frage zu vertiefen.
    Ratibor dachte nach. Die Sonne war inzwischen ganz aus dem Meer aufgetaucht, und das unglaubliche Farbenspiel am wolkigen Himmel begann allmählich zu verblassen. Der Obodritenfürst wendete das Boot, und während der ganzen Rückfahrt schwiegen sie.
    Der Wind hatte aufgefrischt; das Bötchen machte gute Fahrt. Tugomir steckte die Hand ins Wasser und bewunderte die Gischt, die um seinen Unterarm schäumte. Dann strich er sich mit der nassen Hand über die Kehle. Das Salzwasser brannte wie Essig in der Wunde, aber Dobromir hatte immer geschworen, nichts fördere die Wundheilung so wie Meerwasser.
    Als sie an den Strand zurückkamen und das Boot aus dem Wasser gezogen hatten, führte Ratibor ihn zu den wartenden Pferden zurück. Er holte einen Krug und einen Leinenbeutel aus seiner Satteltasche und sagte: »Komm, Fürst Tugomir, lass uns hier das Brot brechen. Du kannst das Meer betrachten, das es dir so angetan hat, und wir können unbelauscht reden.«
    Sie setzten sich in den Sand – Ratibor mit dem Rücken zur Sonne –, teilten den Metkrug und stillten ihren Hunger mit frischem Fladenbrot, Schafskäse und Wildschweinschinken.
    »Ein reich gefüllter Proviantbeutel, bedenkt man, dass du die Absicht hattest, hier allein zu frühstücken«, spöttelte Tugomir, während er einen der kleinen Fladen in der Mitte durchbrach.
    »Als wir losgeritten sind, war ich mir noch nicht schlüssig, ob ich dich töten sollte«, bekannte Ratibor. »Obwohl es vermutlich das Klügste gewesen wäre, verspürte ich doch wenig Lust, für die verfluchte Priesterschaft die Drecksarbeit zu erledigen.« Er nahm einen ordentlichen Schluck aus dem Krug.
    Tugomir ertappte sich bei dem Gedanken, dass der gewaltige Zug nicht das Einzige an diesem Mann war, das ihn an Thankmar erinnerte. Den Hang zum Spott hatten sie ebenso gemeinsam wie die Neigung zum Leichtsinn. Genau wie Thankmar schien auch Ratibor einen unsichtbaren Kobold auf der Schulter mit sich herumzutragen, der ihm immerzu einflüsterte, welche Dummheit er als Nächstes begehen könnte. Ob Ratibor allerdings auch die Großzügigkeit und Ehre besaß, mit der Thankmar die Welt gelegentlich überrascht hatte, konnte Tugomir noch nicht entscheiden.
    »Du glaubst mir nicht?«, fragte Ratibor herausfordernd.
    Tugomir musste grinsen. »Erspar mir deine Entrüstung.« Er wies auf seinen blutigen Hals. »Viel hat nicht gefehlt.«
    Ratibor brummte verdrossen. »Und doch scheinst du noch ganz munter. Sind alle Heveller solche Memmen? Falls ja, sollte ich meine Krieger vielleicht wieder einmal gegen euch führen statt gegen die Sachsen, und euch ein für alle Mal unterwerfen. Dann hätte ich Ruhe.«
    »Sei nicht so sicher.«
    Ratibor schaute ihn eindringlich an, und zum ersten Mal sah Tugomir den verräterischen grauen Schleier auf dem rechten Auge.
    »Wie lang

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