Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
der Halle und vollführte einen Wink.
Arm in Arm traten die beiden Schwestern ein, und Ottos erster Eindruck war der von Einheit. Fast schienen die beiden Mädchen eine geheimnisvolle Front zu bilden – wie Verschwörerinnen. Und dennoch traf er seine Wahl innerhalb eines Lidschlags.
Dabei war Thankmars Sorge nicht einmal so unbegründet. Die Prinzessinnen sahen sich ähnlich: beide weizenblond, jung, von schlanker Statur und mit ebenmäßigen Zügen gesegnet. Die eine, die vielleicht fünfzehn Jahre zählte, hatte hellblaue Augen. Die Ältere, von der er den Blick einfach nicht abwenden konnte, so als sei er unter einen Bann gefallen, hatte Augen von der Farbe des Himmels vor einem Sommergewitter – irgendwo zwischen blau und schwarz.
Vor der hohen Tafel an der Stirnseite des Saals blieben die Schwestern stehen und lösten sich voneinander. Der Bischof wandte sich ihnen zu. »Prinzessin Egvina«, sagte er.
Die Jüngere knickste.
»Prinzessin …«
»Editha«, fiel Otto ihm ins Wort, weil er einfach nicht anders konnte, als ihren Namen auszusprechen.
Die ältere der Schwestern knickste ebenfalls, und ihr Blick ruhte dabei auf ihm. Dann lächelte sie, und Otto stockte beinah der Atem. Er nahm an, so ähnlich müsse ein Mann sich fühlen, wenn ihm ein Dolch ins Herz gestoßen wurde. »Seid … seid willkommen in Magdeburg«, brachte er zustande.
»Habt Dank, Prinz …?« Editha sah ihn fragend an, eine Spur spöttisch, argwöhnte er.
»Otto. Vergebt mir. Mein Name ist Otto. Wir sind so viel Schönheit und Adel in unserer bescheidenen Halle nicht gewöhnt, da kann ein Mann schon mal seine Manieren vergessen. Dies ist meine hochverehrte Mutter, Königin Mathildis. Und Bernhard, unser weiser Bischof von Halberstadt.« Weil sein Gefühl ihm sagte, dass es unfein wäre, mit dem Finger auf seine Mutter oder den ehrwürdigen Bischof zu zeigen, nickte er in ihre Richtung. »Und dies ist mein Bruder Thankmar.« Er lächelte, um seinem Willkommensgruß Wärme zu verleihen, aber auch, um darüber hinwegzutäuschen, dass er sich für diese schäbige hölzerne Halle schämte, deren einziger Luxus ihre Größe und deren einziger Schmuck ein paar schlichte Wandbehänge und der verdammte Vogelkäfig waren. Sicher war die Prinzessin Feineres gewöhnt in ihrem heimischen Winchester.
Aber falls Editha enttäuscht über das war, was sie sah, ließ sie es sich zumindest nicht anmerken.
Mit einem Blick, von dem selbst der Rotwein im Becher blass werden konnte, bedeutete die Königin ihrem Sohn, dass sie es nicht schätzte, aus der Gastgeberrolle gedrängt zu werden. »Auch das Gefolge der Prinzessinnen ist uns willkommen«, sagte sie eine Spur steif zu dem angelsächsischen Bischof, und auf sein Zeichen kamen zwei Nonnen und vier Mönche herein, ein halbes Dutzend junger Edelleute, und einige Wachen trugen unterschiedlich große Kisten und Kästchen herein und stellten sie auf den strohbedeckten Fußboden.
Prinzessin Editha erklärte: »Geschenke unseres Bruders als kleines Zeichen seiner Wertschätzung für König Heinrich und seine Königin.« Doch es war allein Otto, den sie anschaute, während sie sprach. Die Wachen öffneten zwei der größeren Kisten, und im dämmrigen Fackelschein sah Otto Silber funkeln, hier und da sogar Gold, schien es ihm. Die Mitgift , ging ihm auf. »Ich freue mich besonders, Euch im Namen meines Bruders einige kostbare Reliquien des heiligen Mauritius zum Geschenk machen zu dürfen«, fügte Editha noch hinzu.
»Wie überaus großzügig«, antwortete die Königin. »Das wird den König sehr glücklich machen, denn er verehrt den heiligen Mauritius ganz besonders.« Das war Otto völlig neu, aber seine Mutter sprach unbeirrt weiter: »Seid versichert, dass wir sie in hohen Ehren halten werden. Doch nun nehmt Platz und speist und trinkt mit uns. Ihr hattet gewiss eine strapaziöse Reise.« Sie vollführte eine Geste, die auch das angelsächsische Gefolge einschloss, und die Reisenden sanken dankbar auf die Bänke an der unteren Tafel.
Editha hingegen reagierte nicht sofort, sondern fuhr fort, auf einen Punkt etwa auf Ottos Brust zu schauen. Ihre Schwester – kühl und kapriziös wie ein Abend im April – glitt auf die Bank an der hohen Tafel, verschränkte die Hände, sah zu Thankmar und bemerkte: »Wir haben den Kanal in einem Sturm biblischen Ausmaßes überquert. Dann sind wir mit einem Schiff den Rhein bis nach Köln hinaufgefahren, und es hat unablässig geregnet. Sobald wir von
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