Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Bruder selten so gelöster Stimmung gesehen wie in den … vergangenen Wochen.« Seine Kehle schien sich noch ein bisschen weiter zuzuziehen.
Sie wendeten die Pferde und folgten den übrigen Jägern im Trab. Ihre Füße in den Steigbügeln strichen durchs hohe, duftende Gras.
»Hm«, machte Editha. »Es ist ein Jammer, dass Egvina uns nach unserer Hochzeit verlassen muss. Sie wird mir furchtbar fehlen.«
»Wirklich? Warum ersuchen wir dann nicht deinen Bruder um Zustimmung, sie noch ein paar Wochen länger hierzubehalten?«
»Das würdest du tun, Otto?«
»Wieso denn nicht, in aller Welt?«
Die Wünsche, die sie bislang an ihn gerichtet hatte, waren alle so lächerlich klein. Irgendwie hatte er geglaubt, eine Prinzessin von so altem Geblüt wäre anspruchsvoller, aber diese Befürchtung hatte sich als völlig unbegründet erwiesen, und darüber war Otto erleichtert. Mehr Sorgen bereitete ihm im Augenblick sein Kopf. Er dröhnte und hämmerte, und zu dem Dröhnen gesellte sich ein flaues Gefühl im Magen. Und Schwindel.
Thankmar hatte Egvina eingeholt und vor ihr das Ziel erreicht. Lachend zog er sie auf: »Erinnere mich vor unserem nächsten Wettrennen daran, dass ich meinem Gaul die Hinterhufe zusammenbinde, edle Prinzessin.«
»Na warte, du Schuft«, gab die Besiegte zurück, und sie tauschten einen Blick, der Otto so rätselhaft vorkam wie ein Satz auf Lateinisch: eine geheime Botschaft, die er nicht verstehen konnte.
Der Vorsteherhund jaulte einmal kurz und leckte dem Hundeführer die Hand, der ihm den Kopf tätschelte und ihn von der Leine ließ.
»Wer ist an der Reihe?«, fragte Editha.
»Gero«, antwortete Thankmar. »Der Meisterjäger unter uns. Ich zähle fünf Vögel an seinem Sattel. Damit kann sich keiner messen.«
»Weil Gero tatsächlich zur Jagd hergekommen ist«, bemerkte Egvina. »Wir nehmen sie zum Vorwand, einen sorglosen Tag im Müßiggang bei Sonnenschein zu verbringen. Gero ist hier, um Wild zu töten.«
Der Grafensohn neigte den Kopf vor ihr und zwinkerte ihr dabei zu. »Wie gut Ihr mich kennt, Prinzessin.« Er winkte seinem Falkner.
Otto fuhr sich verstohlen mit dem Unterarm über die Stirn. Sein Blickfeld hatte sich eigentümlich verkleinert. Er schaute zum Weiher hinüber, und fast kam es ihm vor, als blicke er einen dunklen Korridor entlang, an dessen Ende eine offene Tür auf den Weiher zeigte. Er blinzelte mehrfach, aber die schwarzen Wände links und rechts verschwanden davon nicht.
»Kennt oder durchschaut?«, konterte Egvina herausfordernd.
Sie tändelt mit Gero, fuhr es Otto durch den Kopf, aber das scheint Thankmar nicht zu stören …
Der wies zum Ufer. »Da. Der Hund steht vor. Mach deinen Vogel bereit, Gero, oder du kannst der Prinzessin heute kein Rebhuhn zu Füßen legen.«
Gero streifte seinem Falken die Haube ab, der übellaunig nach den Fingern seines Herrn hackte. Doch Gero trug einen ledernen Schutzhandschuh.
Der Vogel war noch nicht gestiegen, aber der Hund sprang zu früh ein. Gero fluchte, und eine schwarze, geflügelte Kreatur brach unter unmelodischem Gekrächz aus dem Schilf hervor.
»Unglücksrabe …«, murmelte Otto undeutlich – und fiel besinnungslos vom Pferd.
Thankmar hatte seinen Bruder vor sich im Sattel zurück in die Pfalz gebracht und sich dabei ertappt, dass er Gott anflehte: Lass ihn nicht sterben .
Warum denn nicht?, hatte die spöttelnde innere Stimme ihn sogleich gefragt, die ihn auf Schritt und Tritt begleitete. Otto steht zwischen dir und der Krone. Zwischen dir und der Anerkennung deines Vaters. Von dem Moment an, da er seinen ersten verfluchten Atemzug getan hat, hast du nur noch ein kümmerliches Schattendasein geführt. Aber Thankmar wollte trotzdem nicht, dass sein Bruder starb. Die Erkenntnis, dass Otto ihm teurer war als die Krone, die immer verlockend und knapp außerhalb seiner Reichweite gefunkelt hatte, verwirrte und bestürzte ihn.
Der Rückweg war zum Glück nicht weit gewesen. Gero hatte sein Pferd bei den Torwachen gelassen und war davongeeilt, um Bruder Matthias, den Leibarzt des Königs, ausfindig zu machen. Thankmar hatte Otto zu dessen Kammer getragen, und dort standen sie nun um das breite Bett herum: ihr Vater, seine Königin, Thankmar selbst, Henning und sogar die kleine Hadwig. Alle folgten mit bangen Blicken jedem von Bruder Matthias’ Handgriffen. Otto regte sich dann und wann und stöhnte, aber richtig aufgewacht war er noch nicht. Sein Atem ging rasselnd und unverkennbar mühsam, und sein
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