Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
ihn einnimmt«, entgegnete Tugomir scharf. »Euer Hochmut gehört zu den Dingen, die ich an euch Sachsen ganz und gar widerwärtig finde, Bruder Waldered. Wenn ich eines über die Götter gelernt habe, dann dies: Sie sind alle gleich gut oder gleich schlecht. Wie könnten wir Sterbliche uns anmaßen, ein Urteil über sie zu fällen? Und es ist einfach lächerlich, sich einem anderen Mann überlegen zu fühlen, nur weil man glaubt, den besseren Gott zu haben.«
»Wenn Ihr mir erlauben würdet, es Euch zu erklären, würdet Ihr die Wahrheit erkennen.«
»Sächsische Wahrheiten«, gab Tugomir bitter zurück. Seine Wunden machten ihm zu schaffen. Er vermisste seine Schwester und konnte den Gedanken kaum aushalten, dass sie hunderte Meilen weit verschleppt worden war. Die Niederlage der slawischen Krieger und die Ungewissheit um seinen Vater drohten ihm den Rest zu geben, und mit einem Mal kam die Hoffnungslosigkeit ihm vor wie ein Malstrom, der ihn in die Tiefe zerren wollte.
»Nicht sächsische Wahrheiten«, widersprach der Mönch. »Der Unterschied zwischen Euren Göttern und meinem ist, dass mein Gott allen Menschen seine Gnade und Barmherzigkeit angedeihen lässt. Allen, die ihn annehmen und ihren alten Göttern abschwören, meine ich.«
Tugomir lächelte müde. »Ein Gott für Priester und Fürsten, das ist er, sonst nichts. Seine Priester sind mächtig, also beten Euer König und die Seinen zu Eurem Gott, um sich dieser Macht zu bedienen.«
»Das ist keineswegs so«, fiel Waldered ihm ins Wort, so aufgebracht, dass Tugomir wusste, er hatte an einen wunden Punkt gerührt.
»Die meisten Leute hier halten jedenfalls keine großen Stücke auf Euren Gott«, warf Semela abschätzig ein. »Sie kommen zu Prinz Tugomir, weil er sich mit den alten Göttern auskennt und mit Geistern und Feen und Dämonen.«
Der unüberhörbare Stolz, der aus diesen Worten sprach, amüsierte Tugomir beinah. Der Junge sagte indes die Wahrheit. Die alten Götter der Sachsen waren andere als die der Heveller, aber sie hatten viele Dinge gemeinsam. Bruder Waldereds Gott hingegen, der sich nicht in Sonne und Mond, Wasser und Erde, Feuer und Luft zeigte, sondern in einem eigenartigen Ding zu leben schien, das die Sachsen Buch nannten und dessen Geheimnisse nur seine Priester kannten – dieser war kein Gott der einfachen Menschen. Die Mägde und Knechte ebenso wie die Soldaten der Pfalz in Magdeburg wussten mit diesem Gott nichts Rechtes anzufangen, und da man ihnen ihre alten Götter gestohlen hatte, wandten sie sich immer häufiger an Tugomir, wenn sie Rat suchten oder krank oder verwundet waren. Er verwehrte ihnen seine Hilfe nicht, denn er hatte nichts Besseres zu tun. Und sie entlohnten ihn mit Brot oder Met, einer neuen Felldecke oder Kleidung, vor allem jedoch mit ihrer Dankbarkeit, und sie war es, die im Leben einer machtlosen Geisel den entscheidenden Unterschied machen konnte. Eine der jungen Wäscherinnen erwies ihm ihre Dankbarkeit in ganz spezieller Weise, und das wusste Tugomir außerordentlich zu schätzen. Jedenfalls dann, wenn Gero nicht gerade versucht hatte, ihn Stück für Stück zu rösten, wovon einem jegliche Triebe vergingen …
Bruder Waldered zog die Knie an und verschränkte die Hände darum. »Nun, es sind die Armen im Geiste, die einfache Antworten von einfachen Göttern suchen, und ich bin zuversichtlich, dass der Allmächtige ihnen vergibt und sie auf den rechten Pfad zurückführt. Ihr hingegen seid ein kluger Mann, Prinz Tugomir. Darum fürchte ich, ich kann Euch nicht einfach als hoffnungslosen Fall abtun. Nur ist jetzt vielleicht nicht der richtige Augenblick, um über die Götter zu streiten, denn es gibt noch etwas, das ich Euch zu sagen habe.«
Tugomir ließ ihn nicht aus den Augen. »Ihr wisst etwas über das Schicksal meines Vaters.«
Der Mönch schüttelte den Kopf. »Aber möglicherweise ist er hier. Das Heer hat zweihundertvierundfünfzig Gefangene mit zurückgebracht. Und sie alle werden morgen bei Sonnenaufgang hingerichtet.«
Otto überreichte seiner Braut galant seinen Falken. »Hier, Editha. Ihr seid … Du bist an der Reihe.«
Zwei Wochen lag ihre Ankunft jetzt zurück, und kein Tag war vergangen, ohne dass sie sich nicht wenigstens für eine kurze Stunde gesehen hatten. Inzwischen kannten sie einander gut genug, um auf Förmlichkeiten zu verzichten, aber manchmal fiel der vertraute Umgang Otto noch schwer. Er war hingerissen von Editha. Wenn er sie betrachtete, kamen ihm höchst
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