Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
um mit den Seinen vom Schlachtfeld zu fliehen.« Er spuckte ins Gras.
    Tugomir biss einen Moment die Zähne zusammen und rang mit Mühe den Drang nieder, ihm die Fackel ins Gesicht zu drücken. »Da die Sonne bald aufgeht, hoffe ich, das war die letzte Verleumdung, die du gegen mein Volk und meinen Vater ausgesprochen hast. Bist du der Anführer dieses armseligen Häufleins?«
    »Nein, das bin ich.« Ein älterer Mann trat zu ihm, seine Schritte wegen der Fußfesseln klein und schlurfend. »Mein Name ist Draschko.«
    Tugomir sah die Tätowierungen, noch ehe der Priester die Hand zum Göttergruß hob. Offenbar waren doch nicht alle Obodriten zum Gott der Sachsen übergelaufen, schloss Tugomir erleichtert. Er erwiderte den Gruß.
    »Wieso lebst du noch, Prinz Tugomir? Hat der Sachsenkönig dich und deine Schwester nicht als Geiseln genommen, um Fürst Vaclavic zum Frieden zu zwingen?«
    »Doch.« Er wusste nicht so recht, wie er erklären sollte, dass Gero unterbrochen worden war, als er ihn zu Tode quälen wollte, und in dem anschließenden Durcheinander durch den Aufbruch der Panzerreiter und die Ankunft der angelsächsischen Prinzessinnen die Vollendung seiner Hinrichtung irgendwie vergessen worden war. »Ich … Die Götter haben es gefügt, dass König Heinrich glaubt, in meiner Schuld zu stehen. Darum hat er mein Leben und das meiner Schwester geschont, zumindest fürs Erste. Und das ist nicht alles.« Er brach ab.
    »Ja?«, fragte Draschko mit unverkennbarer Ungeduld. »Was weiter?«
    Tugomir zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. »War irgendwer so höflich, euch zu sagen, dass ihr morgen alle hingerichtet werdet?«
    »Allerdings. Geröstet, hat einer die Wachen sagen hören.«
    »Enthauptet«, entgegnete Tugomir kopfschüttelnd.
    »Pah«, machte der alte Priester angewidert. »Und jetzt sollen wir dir dankbar sein, ja?«
    »Ich hatte nichts damit zu tun«, stellte Tugomir klar. »Und deine Dankbarkeit ist das Letzte, woran mir gelegen ist. Hör zu: König Heinrich will zwölf von euch schonen und frei lassen. Und zwölf Redarier.«
    » Was? Ist er auf seine alten Tage weichlich geworden?«, höhnte der mit dem verfilzten Haar.
    Tugomir beachtete ihn nicht, sondern sprach weiter zu dem Priester. »Ihr könnt selbst entscheiden, wen ihr heimschicken wollt, oder die Wahl den Göttern überlassen.«
    »Das muss eine Falle sein«, argwöhnte Draschko.
    Tugomir erstaunte sich selbst, als er sagte: »Nein. König Heinrich ist grausam und gierig nach Macht und Silber. Aber hinterhältig ist er nicht.« Im Gegensatz zu euch, fügte er in Gedanken hinzu. »Beratet euch, während ich mit den Redariern spreche. Aber lasst euch nicht zu viel Zeit. Die Männer müssen ausgewählt sein, ehe es hell wird.«
    Er machte auf dem Absatz kehrt, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Bei den Redariern wurde er freundlicher empfangen, aber auch von ihnen wusste keiner, was aus seinem Vater und den Hevellerkriegern geworden war. Pribislav, ihr Anführer, war ein schwarzhaariger Krieger und kaum älter als Tugomir. Sein Obergewand war blutbesudelt und so zerfetzt, dass man freien Blick auf seine unglaublichen Brust- und Armmuskeln hatte.
    »Wir lassen die Götter entscheiden«, sagte er ohne das geringste Zögern.
    Tugomir nickte. »Dann sag deinen Männern, sie sollen sich in zwölf gleich große Gruppen aufteilen. Einer aus jeder Gruppe behält sein Leben.«
    Er hatte von dem Wachsoldaten, der ihn hergeführt hatte, einen Korb voll Äpfel verlangt und unter einigem Stirnrunzeln und Kopfschütteln auch bekommen. Mit dem Speisemesser, das er am Gürtel trug, schnitt er die Früchte in kleine Stücke und legte sie zurück in den Weidenkorb. Dann nahm er dem Pferd Sattel und Zaumzeug ab. Es war ein langmütiger Wallach, der seine besten Jahre hinter sich hatte, und machte keinerlei Anstalten, die Gelegenheit zur Flucht zu ergreifen. Tugomir fuhr ihm in langen, gleichmäßigen Strichen über den Hals. Er sprach nicht, und er betete auch nicht. Tugomir hatte gelernt, dass Worte die Götter nicht erweichen konnten. Und selbst wenn – er hätte nicht gewusst, was er erbitten sollte. Er war froh, dass es ihm gelungen war, König Heinrich diese zwei Dutzend Menschenleben abzutrotzen, denn es linderte dieses grauenhafte Gefühl von Hilflosigkeit, das ihn begleitete, seit er in der gefallenen Brandenburg neben seinem toten Bruder aufgewacht war. Aber er hätte nicht gewusst, wie er die Männer aussuchen sollte, die weiterleben durften, und er war

Weitere Kostenlose Bücher